Stuttgart-Hedelfingen … Hedelfingen und Esslingen sind Nachbarn. Getrennt durch eine Stadtgrenze, verbunden durch eine Straße. Die Esslinger Straße. Heute heißt die Verkehrsader neben der B10 Amstetter Straße und sorgt durch verbotenen Schleichverkehr von Autos für Schlagzeilen. Zu Zeiten von König Wilhelm II. benutzte man zur Raumüberbrückung zunächst noch die Kutsche, erst später das Automobil. Oder ging gemütlich zu Fuß. Wie 90 Teilnehmer eines historischen Stadtrundgangs mit Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer am 11. Mai – ein neuer Teilnehmerrekord dieser vor vier Jahren ins Leben gerufenen losen Reihe. Los ging es am Hedelfinger Platz. Drei Stunden später und elf Stationen weiter war das Gestüt in Weil Ziel der gleichermaßen informativen wie unterhaltsamen Zeitreise. Hier nachzuvollziehen in der folgenden Fotogalerie.Volksnaher MonarchSie begann im Jahr 1781 mit der Geburt von Friedrich Wilhelm Carl, der als Wilhelm I. zweiter König Württembergs war. Er verstarb 1864 in Cannstatt und ist in der Grabkapelle auf dem von Hedelfingen aus zu sehenden Württemberg bestattet. Thematisch zu Ende ging die ortshistorische Zeitreise im Jahr 1921 mit dem Tod von Wilhelm II. , dem vierten und letzten König von Württemberg. Er galt als volksnah und war auf seinen Spaziergängen – oft begleitet von seinen Hunden, zwei Spitzen – wohl auch des öfteren in Hedelfingen unterwegs.Hedelfingens ehemaliger Bezirksvorsteher Hans-Peter Seiler und der Vorsitzende des Fördervereins Altes Haus Hedelfingen, Michael Wießmeyer, nahmen die Geschichte zum Anlass, die eine oder andere Anekdote aus und über Hedelfingen zu erzählen. Begleitet wurden sie bei ihrer Stadt-zu-Stadt-Führung durch König Wilhelm II. und Königin Charlotte – verkörpert von Eberhard Körn und Karin Kaiser von der Darstellergruppe des Alten Hauses. Hedelfingens Pfarrer Wilhelm Kautter unterstützte mit kirchengeschichtlichen Rückblicken und die Familie Haidle mit zwei Weinproben. Das hätte dem König auch gefallen.Über Jahrhunderte ins JetztDie beiden Hobby-Historiker Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer erwiesen sich wieder einmal als kongeniales Duo und präsentierten Hand in Hand Dokumente, Erinnerungen sowie unzählige Fotos aus dem Archiv des Alten Hauses – alles fein säuberlich geordnet in einem Handwagen, den Ute Wießmeyer geradezu majestätisch durch die Teilnehmerschar und über die lange Strecke nach Esslingen chauffierte.Zwölf Stationen hatten sich Seiler und Wießmeyer ausgedacht, um anhand ihrer Nachforschungen und Bilder auf unterschiedlichste Weise einen Bogen von der Königszeit über die Jahrhunderte bis ins heutige Hedelfingen zu schlagen. Nach dem Start am Hedelfinger Platz, dem ehemaligen Charlottenplatz, wurde in der Alten Kirche deren Restaurierung erklärt und ein Bild der Hedelfinger Pieta gezeigt. Vor der „Hedelfinger Bank“ ging es vor allem um alte Häuser sowie die im selben Jahr (1910) in Betrieb genommene Straßenbahn und das heute noch existierende Rathaus von Hedelfingen – in dem ein Jahrhundert später Hans-Peter Seiler auf dem Chefsessel saß. So schließt sich ein Kreis.Erzählung und ErfrischungDie Kreuzkirche war die nächste Station. Der Glockenschlag zur vollen Stunde (11 Uhr) erinnerte daran, dass man noch im Zeitplan war. Beim Gasthaus Hirsch wurde über Geschäfte, Branchen und den Wandel im Handel berichtet. Nächster Halt war die Klinik, in der einst bis zu 500 Kinder im Jahr das Licht der Welt erblickten. Da gab es viel zu beurkunden im Hedelfinger Rathaus. Heute residiert dort eine Augenklinik. Ein kurzer Stopp im „Handwerkerviertel“ rund um die Hausnummer 70 der heutigen Amstetter Straße bot Gelegenheit, über die ortstypischen Gewerke zu berichten. Auf dem weiteren Weg nach Esslingen machte die Gruppe hinter dem Zaiß‘schen Weinlager Halt. Die beiden Stadtführer hatten ihre liebe Mühe, mit ihren Erzählungen über Wohnwagenlager, Isolierwerk und Neckaraushub gegen den Verkehrslärm von der B10 anzukommen.Eine willkommene Erfrischung gab es dann vor der Einfahrt zur Deponie Einöd. Unter den Bäumen, die Schatten gegen die inzwischen strahlende Sonne boten, servierte die Familie Haidle den neuen feinherben Muskat Trollinger Rosé der Weingärtnergenossenschaft Hedelfingen. Getreu dem Motto „Trink vom Lenzenberg den guten Wein, dann sparst Du Dir den Krankenschein“ – zitiert von Jungwinzer Daniel Haidle – waren nach diesem Genuss alle Zeitenwanderer wieder gut zu Fuß, warfen noch einen Blick auf die von Heidi und Kurt Zaiser betreute Staffel und bewunderten Natursteinmauern, wie sie wohl nur der Hedelfinger Martin Bücheler erschafft.Applaus für SpurensucherBeim Einkaufszentrum in Esslingen-Weil wurden Erinnerungen an enorme Erdbewegungen beim Abgraben des Hanges Ende der Fünfziger Jahre wach. Bevor an der vorletzten Station Pfarrer Kautter zur Geschichte des Klosters Weil referierte, für das um 1471 die Hedelfinger Pieta erschaffen wurde. Sie befand sich von 1817 bis 1921 in der Alten Kirche in Hedelfingen (siehe oben) und ist heute im Württembergischen Landesmuseum im Alten Schloss in Stuttgart ausgestellt.Zu guter letzt versammelte sich die Gruppe der Geschichtensammler beim ehemaligen Gestüt Weil. Das Königlich Württembergische Gestüt – gegründet von König Wilhelm I. – war das erste seiner Art mit Vollblut-Araberpferden außerhalb des Orients. Eine gute Überleitung zu einer abschließenden Probe eines edlen Weißweines aus dem Weingut des Herzogs von Württemberg. Dessen Etikett „Attempto“ erinnert an den ersten Herzog von Württemberg Eberhard im Bart (1445 bis 1496), der seine Pilgerreise nach Jerusalem, um Heilig-Grab-Ritter zu werden, unter das Motto „Attempto“ („Ich wage es“) gestellt haben soll. Dass es alles andere als ein Wagnis, vielmehr ein Vergnügen – zudem ein lehrreiches – ist, sich mit Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer auf Spurensuche zu begeben, zeigte sich in verdientem Applaus und darin, dass sich die Teilnehmer mit Spenden zugunsten des Fördervereins Altes Haus für die kostenlose Führung großzügig bedankten.Foto oben: Hans-Peter Seiler, Eberhard Körn und Karin Kaiser als König Wilhelm II. und Königin Charlotte sowie Michael Wießmeyer (von links) unter einem Kastanienbaum beim „Löwen“ am Hedelfinger Platz.Weitere aktuelle WILIH-Berichte über den Stadtbezirk Hedelfingen finden Sie hier.