Beleidigte Leberwurst

Wer austeilt, muss auch einstecken können? Sollte man meinen. Doch nicht selten erweisen sich ausgerechnet Polterer als besonders dünnhäutig. Ihr Ego mag nämlich keinen Gegenwind.

Dann zeigt sich: Selbstbewusstsein ist nicht mit starkem Charakter gleichzusetzen. Mit der Fähigkeit, Kritik auszuhalten. Mit der Bereitschaft auch zu selbstkritischen Würdigungen des eigenen Verhaltens. Ichbezogene kennen nur eine Sichtweise: Dass sie selbst der Mittelpunkt sind. Folge: Die Welt habe sich um sie zu drehen. Sie, die es für völlig ausgeschlossen halten, von anderen Menschen als Würstschen angesehen zu werden, zeigen sich bei gekränkter Eitelkeit häufig als beleidigte Leberwurst. Aber diese sprichwörtliche Bezeichnung für Eingeschnappte hat ganz und gar nichts mit dem Metzgerhandwerk zu tun, sondern basiert angeblich auf der mittelalterlichen Ansicht, menschliche Gefühle seien in der Leber zu verorten. Das Organ, über das einem anderen Sprichwort zufolge gerne mal eine Laus läuft, navigiert den Betroffenen dann in den so genannten Schmollwinkel. Früher mag die Episode dort in aller Stille ihr Ende gefunden haben. Heutzutage nimmt man jedoch in jede Ecke sein Smartphone mit und kann deshalb immer und überall in alle Welt hinaus twittern, wer oder was einen gerade wurmt. Die- oder derjenige bekommt dann die Beleidigung aufs Brot geschmiert. Denn Leberwurst ist streichfähig.

Rundgeschaut … Die Seite 3 Kolumne aus dem WILIH … 18.1.2017