Sportvereine vor vielen Hürden

Stuttgart/Ostfildern … Sport im Verein bleibt weiterhin untersagt. Zwar gibt es immer mehr Menschen, die jetzt das Joggen oder Radfahren für sich entdecken, und auch an Tipps zum Workout in den eigenen vier Wänden mangelt es nicht. Aber dem gemeinschaftlichen Sporttreiben ist nach wie vor ein Riegel vorgeschoben. Selbst Individualsport im Verein bleibt noch verboten. Was macht das mit den Sportvereinen? WILIH hat in einer Blitzumfrage fünf örtliche Vereine befragt. Eine drohende Insolvenz sieht derzeit noch kein Club. Gleichwohl stellen die Einnahmenverluste bei weiterlaufenden Kosten eine ernste Belastung dar. Es geht ans Eingemachte. Lokale und strukturelle Besonderheiten überdecken nicht einen gemeinsamen Nenner. Und der heißt: Hoffentlich darf der Sportbetrieb wenigstens teilweise bald wieder starten!

Für die SportKultur Stuttgart (SKS, 3.000 Mitglieder, 18 Abteilungen, 7 Sportstätten) antworteten der Vorsitzende Ulrich Strobel und Geschäftsführerin Lisa Riedle. Sie machen sich Sorgen, dass Einnahmen und Ausgaben aus dem Gleichgewicht kommen und es  spätestens Anfang 2021 schwierig wird, den Vereinsbetrieb zu finanzieren.

Die Fragen an den Sportverein Sillenbuch (SVS, 2.200 Mitglieder, 11 Abteilungen, 8 Sportstätten) beantwortete Geschäftsführer Jochen Weiß. Den Verein belasten die Ungewissheit beim Planen von Veranstaltungen und die großen Sorgen seiner Gaststättenpächter. Da jetzt keine neuen Mitglieder in den Verein eintreten, wird für 2020 zum ersten Mal mit einem Rückgang der Mitgliederzahl gerechnet.

Die Antworten für den TSV Heumaden (TSV, 2.200 Mitglieder, 16 Abteilungen, 2 Sportstätten) gab Denise Roth, Leiterin der Geschäftsstelle und Assistentin des Vorstands. Zwar macht man sich in Heumaden Gedanken, ob alle Übungsleiter nach der Krise weitermachen, und sieht die fehlenden Einnahmen als Hypothek. Doch erkennt der Verein auch Chancen und zeigt sich kreativ, wie ein eigener Youtube-Channel beweist.

Für den Turnerbund Ruit (TBR, 1.890 Mitglieder, 10 Abteilungen, 10 Sportstätten) nahm der Vorsitzende Dr. Peter Frömke Stellung. Er sieht die Wolken am Finanzhimmel über dem Verein dunkler werden, hofft aber auf baldige Wiederaufnahme zumindest eines Teils des Sportbetriebs. Investitionen mussten bereits zurückgestellt werden.

Beim Turnverein Kemnat (TVK, 850 Mitglieder, 8 Abteilungen, 4 Sportstätten) hat sich der für Finanzen zuständige stellvertretende Vorsitzende Wolfgang Bretschneider mit den Fragen auseinandergesetzt. Man setzt auf Bewegung, Zusammenhalt und Ehrenamt. Soziale Medien seien auf Dauer keine Alternative zum Sport, ist man überzeugt. Der Verein nutzt die Krise zur Analyse seiner Finanzen und entdeckt Einsparmöglichkeiten.

Lesen Sie hier anschließend die Antworten der Vereinsführungen auf die Fragen von WILIH.

 

Welche Belastung stellt der Lockdown jetzt schon für den Verein dar?

SKS: (Strobel) Für den ersten Monat vom 15.3. bis 15.4.20 ca. 95.000 Euro an Mindereinnahmen und weiterlaufenden Kosten.

SVS: Bereits jetzt haben wir starke finanzielle Einbußen im 5-stelligen Bereich pro Monat durch fehlende Einnahmen, u.a. im Kursbetrieb und der Kinder-Ferienbetreuung – bei weiter laufenden Ausgaben. Sollte die Solidarität der Mitglieder, Trainer und Unterstützer des SVS bei einem länger anhaltenden Lockdown nachlassen, werden die Kosten deutlich steigen. Große finanzielle Probleme bestehen für die Pächter und das Personal in unseren beiden Vereinsgaststätten „La Grazia“ und „Kupferkessel“. Hier haben wir den Pächtern als Verein konkrete finanzielle Hilfen zur Überwindung der Situation angeboten und bei den Mitgliedern für unsere Pächter (und auch die anderen Partner des SVS) unterstützend geworben. Neben den monetären Belastungen besteht die Gefahr, bei einer zu langen Pause auch Mitglieder zu verlieren, die nach Ende des Lockdown keinen Einstieg mehr finden. Sport im Verein bedeutet auch Gemeinschaft und Geselligkeit – die wir derzeit nicht bieten können. Eine weitere Herausforderung stellt die fehlende Planungsmöglichkeit von Veranstaltungen dar. Von Gremiensitzungen innerhalb des Vereins über die jährliche Mitgliederversammlung bis zum Sommerfest. Wann welche Veranstaltung wieder stattfinden kann und bis wann Veranstaltungen abgesagt werden müssen, ist aus heutiger Sicht völlig offen.

TSV: Der Verein hat weiterlaufende Kosten für den Unterhalt der Immobilien und Sportanlagen, zudem laufende Personalkosten. Zahlreiche Übungsleiter können nicht weiter beschäftigt werden, von diesem Engagement lebt der Verein, und wir hoffen, dass uns die Übungsleiter weiter erhalten bleiben.
Durch nicht stattfindendes umfangreiches Kursangebot im Kinder-/Jugend-/Erwachsenen-Bereich wie Fitnesskurse, Kindersportschule, Tennistrainings und im Rehabilitationssport haben wir fehlende Einnahmen. Auch die nicht durchführbaren Feriencamps sowie Veranstaltungen entgehen dem Verein wichtige Einnahmen. Durch den nicht stattfindenden Spielbetrieb hat der Verein fehlende Einnahmen aus dem „Kioskbetrieb”.

TBR: Hoher Erklärungs- und Motivationsaufwand gegenüber den Mitgliedern, wegfallende Einnahmen aus Kursgebühren und aus Schließung der Vereinsgaststätte, Angestellte, Mieten und laufende Kosten müssen überwiegend weiter bezahlt werden.

TVK: Durch den Lockdown stehen die Sportstätten nicht zur Verfügung. Dadurch liegt das Vereinsangebot an die Mitglieder brach.  Wir wollen Erwachsene und Kinder zur Bewegung animieren. Dies können wir zur Zeit nicht leisten. In Sportarten wie Fußball, Tischtennis und Jazz-Dance entfällt die Wettkampf-Situation und damit eine wesentliche Motivationsquelle der Sportler. Und schließlich fehlt den Mitgliedern auch die Gemeinschaft ihrer Sportgruppe. Dies lässt sich über whatsApp-Gruppen nicht auffangen.

 

Wie lange kann der Verein finanziell noch durchhalten?

SKS: (Strobel) ca. 3 bis 5 Monate. (Riedle) Die Vereine (gilt für fast alle Vereine) ziehen ihre Mitgliedsbeiträge meist zum Jahresanfang ein, sodass aktuell ein relativ großer Puffer da ist, der aber in der knappen Budgetplanung (es werden keine großen Überschüsse erwirtschaftet) bis zum Anfang 2021 (bei uns bis 15.2.2021) ausreichen muss. Wenn wir nun noch ca. 3-5 Monate die weiterlaufenden Kosten tragen können, heißt das jedoch im Umkehrschluss auch, dass für Ende 2020 und Anfang 2021 nicht mehr viel da sein wird, um den Sportbetrieb, insbesondere die Abteilungen, zu bezuschussen. Denn es werden nicht jeden Monat so viele Einnahmen erzielt, um die laufenden Kosten zu decken. Das ist ein sehr empfindliches Gleichgewicht über das gesamte Jahr hinweg, das gerade deutlich ins Wackeln gerät.

SVS: Diese Frage lässt sich pauschal nicht beantworten. Der Sportverein Sillenbuch ist grundsätzlich wirtschaftlich gesund, da in der Vergangenheit immer sehr vernünftig und zurückhaltend gewirtschaftet wurde. Wir haben keine Liquiditätsprobleme. Aktuell kann der SVS noch auf allgemeine Rücklagen zurückgreifen. Wenn diese nicht mehr ausreichen, müssen wir in einer zweiten Stufe auf die Investitionsrücklagen zurückgreifen.

TSV: Der Verein ist ein gut wirtschaftender und florierender Verein, dadurch haben wir aktuell finanziell noch Spielräume. Trotz allem kann das nicht ewig so weitergehen, und es hängt ganz davon ab, wie lange das noch weitergeht. Eine konkrete Aussage, wie lange wir noch durchhalten, können wir nicht geben.

TBR: Nach ca. 80 Tagen ohne Sportbetrieb Eintritt in die Verlustphase, Fortbestand dann nur unter Verzehr der Rücklage.

TVK: Wir haben die Finanzstruktur analysiert. Dabei haben wir festgestellt, dass sowohl die Einnahmen als auch die Ausgaben zu ca. 90 % variabel sind. Einsparpotenziale haben wir erkannt. Zum Glück haben wir in der Vergangenheit solide gewirtschaftet. Um die Fixkosten abzudecken, haben wir aktuell genug Reserven. Wichtig sind auch Veranstaltungen wie die Kirbe und die Winterunterhaltung. Nach Corona wollen wir wieder bereit sein und unser Sportangebot attraktiv halten.

 

Wann könnte ein Insolvenzrisiko für den Verein bestehen?

SKS: (Strobel) Wenn die Sperre länger anhält und sich die finanzielle Belastung dann aufsummiert und keine Hilfe der Stadt oder des Landes erfolgt.

SVS: Ein Insolvenzrisiko sehen wir aktuell und in den nächsten Monaten nicht. Beide Kriterien einer Insolvenz (Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit) treffen auf den Sportverein Sillenbuch derzeit nicht zu und werden auch für die nahe Zukunft nicht gesehen.

TSV: Aktuell nicht absehbar, hängt von der Dauer der Beschränkungen und hiermit einhergehenden fehlenden Einnahmen ab.

TBR: Derzeit noch nicht absehbar.

TVK: Dies ist aktuell nicht absehbar. Durch den Zusammenhalt aller Beteiligten von Verein, Trainern, Mitgliedern gehen wir davon aus, dass dieses Szenario nicht eintritt.

 

Welche Folgen hat der Lockdown für die Zukunft des Vereins?

SKS: (Strobel) Er bekommt finanzielle Probleme wie oben beschrieben. Wahrscheinlich ist auch eine Kündigung von Mitgliedern zum Jahresende, wenn wir auf absehbare Zeit keinen Sport anbieten können. (Riedle) Zudem kommt sicher auch eine weitere Zeit lang die Unsicherheit und Hemmung der Menschen hinzu. Was bedeutet, dass wir nach Wiederaufnahme nicht zu 100 % dort anknüpfen können, wo wir vor dem Lockdown aufgehört haben.

SVS: Seit Wochen treten keine Neumitglieder mehr bei. Zusammen mit der natürlichen Fluktuation ist erstmals seit Jahren in 2020 mit einem Mitgliederrückgang zu rechnen. Durch den Rückgriff auf die Rücklagen und finanziellen Reserven müssen Investitionen und Neuanschaffungen zurückgestellt werden. Eine Einschränkung des Sportangebots versuchen wir zu verhindern und zeichnet sich derzeit auch nicht ab. Weitere Folgen (Kündigungen wegen fehlendem Angebot etc.) sind erst Ende des Jahres absehbar.

TSV: Aktuell sehen wir trotz des anhaltenden Lockdowns eine positive Zukunft für den Verein. Wir gehen davon aus, dass wir gestärkt aus der Krise herausgehen. Die Krise hat uns dazu gebracht, neue Wege zu gehen, kreative Möglichkeiten, auch neue Angebote anzubieten. So entstand ein YouTube Channel, und auch für die Zukunft setzen wir uns damit auseinander, wie wir Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern ein breiteres Angebot zur Verfügung stellen können.

TBR: Akzeptanzprobleme bei Mitgliedern, Ehrenamtsträgern und Übungsleitern noch nicht eingetreten, aber zu befürchten, infolgedessen rückläufige Mitgliederbasis, Probleme bei Ämterbesetzungen und Schwierigkeiten, alle Sportarten weiter aufrecht zu erhalten. Geplante Investitionen mussten bereits teilweise auf Eis gelegt werden.

TVK: Wirtschaftlich können wir die Krise überstehen und wir sind überzeugt: „Nach Corona geht’s weiter“. Unser Vereinszweck besteht darin, Menschen zu Sport und Bewegung zu animieren. Dabei lebt ein Verein vom ehrenamtlichen Engagement der Mitglieder. Da Alle in der gleichen Situation sind, kann dies den Zusammenhalt auch stärken.

 

Was wünschen Sie sich jetzt von der Politik?

SKS: (Strobel) Maßvolle Öffnung von Sportangeboten, die kontaktlos betrieben werden können, wie z.B. Golf, Tennis, Radsport, Gesundheitskurse. Teilweise haben wir schon fertige Konzepte für eine kontaktlose Ausübung, z.B. im Bereich Golfübungsanlage. Und dann natürlich finanzielle Hilfe zum Ausgleich unserer finanziellen Belastungen.

SVS: Es fehlen zeitliche und tatsächliche Perspektiven, wann und unter welchen Umständen und Bedingungen die schrittweise Rückkehr zum Sportbetrieb möglich ist. Wie in den Schulen und Kindergärten benötigen wir aufgrund der ehrenamtlichen Strukturen eine Vorlaufzeit. Sobald der Sportbetrieb im Verein wieder möglich ist, erwarten wir eine größere Flexibilität bei den Nutzungsmöglichkeiten und -zeiten der Sportanlagen sowie einen Verzicht auf die übliche Schließung der Sportanlagen/-hallen in den Ferien. Wir erwarten auch eine Gleichbehandlung von Profisport und Breitensport: Warum darf der Profi schon wieder trainieren und der Breitensportler nicht?

TSV: Mehr Informationen bzw. weiterhin gute Informationen zum weiteren Verlauf der Beschränkungen. Finanzielle Entlastung und Unterstützung. Stärkung und Anerkennung des Ehrenamtes.

TBR: Auch für den Sport sollte frühzeitig und konkret geklärt werden, unter welchen Rahmenbedingungen Corona-Lockerungen verantwortbar erscheinen.

TVK: Die bevorstehenden Lockerungen sollten mit Augenmaß betrieben werden. Die Entscheider in der Politik (Bund, Land, Kommune) sollen – wie auch die Bürger – verantwortungsbewusst mit der Situation umgehen. Distanz zu wahren, ist im Sport nur begrenzt möglich. Dabei haben Berufssportler, die von diesen Einnahmen leben, sicher einen anderen Bedarf als wir im Breitensport. Anzustreben ist ein sachter Übergang in den neuen Normalzustand.

 

WILIH bedankt sich bei allen Teilnehmern der Blitzumfrage für die raschen und interessanten Antworten und wünscht allen Vereinen im WILIH-Land, die von großem ehrenamtlichen Engagement getragen werden, viel Erfolg beim Bewältigen der Probleme sowie einen baldigen und guten Neustart.