CDU übt Selbstkritik – Will die Partei das hören?

Stuttgart-Sillenbuch … Die CDU ist bei der Landtagswahl mächtig ramponiert worden. Der Texter des auf dem obigen Foto zu sehenden Plakats dürfte wohl kaum geahnt haben, wie gut die Aussage nun auf die Partei anzuwenden ist. Susanne Eisenmann, die nicht den Hauch einer Chance hatte, Ministerpräsidentin zu werden, hat kurz nach der Wahl ihren Rückzug aus der Politik erklärt. Ihre Bezirksgruppe hat nach dem Debakel schnell reagiert. Nur eine Woche nach der Landtagswahl veröffentlichte sie einen Forderungskatalog zur Zukunft der CDU, der es in sich hat.

Die Sillenbucher Forderungen erinnern zwar sehr an die Zeit nach der Bundestagswahl 1998, als die CDU nach der Abwahl von Helmut Kohl nur kurz in Schockstarre verharrte, um dann scheinbar wild entschlossen alles auf links drehen und sich erneuern wollte. Auch damals war Sillenbuch schonungslos und angriffslustig. Doch dann kam Roland Koch. Seine Kampagne gegen den „Doppelpass” verfing bei den Wählern und machte ihn im April 1999 zum hessischen Ministerpräsidenten. Der Union verhieß Kochs Erfolg bereits wenige Monate nach der Regierungsübernahme durch Rot-Grün im Bund neuen Rückenwind. Was CDU-Arbeitsgruppen vor Ort erarbeitet hatten, verschwand damals ganz schnell in Schubladen, vielleicht sogar im Reißwolf. Mit einem entschiedenen „Weiter so” ging es in die Zukunft, die nun an der Schwelle zur Vergangenheit steht. Susanne Eisenmann gehörte damals übrigens zum Führungszirkel der Sillenbucher CDU und galt als politisches Talent, das sich für Höheres zu empfehlen schien. Hätte sie damals stärker hinter dem Reformmut an der Basis gestanden, wer weiß, wie die Sache – auch für sie – jetzt ausgegangen wäre.

Aber vielleicht hat die Sillenbucher CDU diesmal mehr Erfolg mit ihren Gedanken. Am 21. März legte sie ein Papier vor, in dem sie „mutige Reformen” fordert. Das „Wahldesaster” sei keineswegs „vom Himmel gefallen”, schreiben die Köpfe der Sillenbucher CDU Claudia Pfeiffer, Hendrik Wolff und Presseprecher Julian Schahl. Die Niederlage sei „im Wesentlichen in einer Vielzahl an Fehlern und Fehlentwicklungen unserer CDU in den letzten Jahren begründet”.

„Das frustriert uns und das wollen wir nicht mehr länger hinnehmen”, überschreiben die Sillenbucher ihre Liste von 15 Forderungen. Nachhaltiger müsse der Politikansatz werden, heißt es einleitend und wegweisend. Danach geht es um Organisation und Kommunikation der Partei. Die CDU müsse sich von einer Mitglieder- zur Mitmach-Partei verändern. Authentische und glaubwürdige Kandidaten aufstellen. Mehr Jüngere, Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund. Menschen mit beruflichem Erfahrungsschatz statt Patieikarrieristen. Nicht „Klüngel-Runden” dürften Kandidaten küren, sondern „nachvollziehbare, transparente und faire Auswahlverfahren unter Einbeziehung von Experten”. Klare Forderungen auch gegen angestaubte Parteitraditionen: keine Ämterhäufung mehr, Inhalte statt „Allerweltssprüche”, Teamgeist statt Alleingänge, kein Schönreden bei Pannen, kein Kleben an Ämtern nach Misserfolgen, keine ewigen Amtszeiten! Klartext auch hinsichtlich der Kommunikation: Ausrichten an strategischen Zielen, Einsatz moderner und vor allem digitaler Medien, Herausarbeiten eines bundeseinheitlichen Markenkerns!

In ihrem überaus engagiert geführten Landtagswahlkampf ließen die Sillenbucher Unionisten bis zum bitteren Ende nichts unversucht, um die Kohlen doch noch aus dem Feuer zu holen. Wann hat man als „Parteisoldat” auch schon mal die Gelegenheit, eine Kandidatin aus den eigenen Reihen – Eisenmann wohnt in Heumaden – an die Spitze der Regierung zu bekommen? Dass die eifrigen Wahlkämpfer auch gegen Störfeuer aus Berlin anzukämpfen hatten, zeigt ihre kesse Forderung an die CDU-geführte Regierung Merkel: „Eine sofortige und umfassende Umbildung der Bundesregierung unter (mindestens) Neubesetzung der Ressorts Wirtschaft und Bildung mit CDU-Vertretern, die in diesen Bereichen über Expertise und Argumentationskraft verfügen. Bei der Besetzung von Ämtern in den Ministerien muss künftig stärker auf die Qualifikation der Bewerber geachtet werden. Wir brauchen Minister und Staatssekretäre, die sich in ihrem Bereich auskennen und ihre Position nicht nur in Anerkennung ihrer politischen Tätigkeit erhalten.” Ob es ein Signal der Verzweiflung war, ausgerechnet dieses Postulat mit der „Glückszahl” 13 zu versehen?

Deutlich diplomatischer übt Stefan Kaufmann Selbstkritik. Der Stuttgarter CDU-Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete benannte in einem Interview mit der Rhein-Neckar-Zeitung die „Spitzenkandidatin mit schlechten Popularitätswerten” sowie die „unsägliche Maskenaffäre” als zwei Gründe für das Debakel der Union. Kaufmann sieht darüber hinaus grundsätzliche Probleme. Er vergleicht die Situation seiner Partei mit der Titanic: „Wir haben zum dritten Mal die Eisberge geschrammt, aber die Kapelle spielt weiter als sei nichts geschehen und auf der Brücke trinkt man grünen Tee.” Der Kreischef nimmt zudem die CDU-Fraktion im Stuttgarter Landtag in die Pflicht: „Ich habe schon vor zehn Jahren gewarnt, dass wir mit unseren Themen und unserer Aufstellung in den großen Städten untergehen werden. An diesem Debakel ist auch die Landtagsfraktion schuld, die sich einer Reform des Wahlrechts verweigert hat.”

Dass die Niederlage vor allem die unermüdlichen Wahlkämpfer vor Ort schmerzt, weiß Stefan Kaufmann einzuordnen. Schließlich hat er vor seinem Einzug in den Deutschen Bundestag (2009) die Sillenbucher CDU geleitet (2003 bis 2010) und saß als Fraktionssprecher seiner Partei im Sillenbucher Bezirksbeirat (2001 bis 2009). „Diejenigen, die Plakate geklebt und an den Marktständen ihren Kopf für die CDU hingehalten haben, fragen sich doch, was da gerade passiert”, sagt Kaufmann. „An der Basis rumort es gewaltig.”

Sich in der Opposition zu erneuern, ist für den Stuttgarter CDU-Chef durchaus eine Option. Wichtig sei jetzt die Einbeziehung der Basis. Ein Durchwinken einer erneuten Koalition mit den Grünen „von oben herab” hält er für falsch. „Es gibt für beide Positionen gute Argumente.”

Keine guten Argumente gibt es in der jetzigen Situation für ein Weitermachen wie bisher. Die ZEIT legte dies kürzlich in einer lesenswerten Analyse dar – einer Betrachtung der Politik im Allgemeinen, der in der Coronakrise die Orientierung abhanden zu kommen droht, sowie der mit Erwartungen und Öffentlichkeit hadernden CDU im Speziellen. „Im Missmanagement von Pandemie- und Klimakrise”, heißt es, zerfalle „alles, was die Unionsparteien mehrheitsfähig machte”. Und Armin Laschet sei jetzt kein Hoffnungsträger, meint der Autor. Im Gegenteil: Inkompetent sei der neue CDU-Bundesvorsitzende. „Die Partei hat verloren.”

Ob Laschet die schonungslose Sillenbucher Analyse und Forderungen oder das Interview mit Stefan Kaufmann gelesen hat? Die ZEIT wahrscheinlich schon. Immerhin hat er sich heute (30.3.2021) bemüht, ein CDU-Programm für die nächste Legislaturperiode zu skizzieren (www.zusammenmachen.de), in dem er zum Mitmachen auffordert. Das soll nun der Start sein in ein „echtes Modernisierungsjahrzehnt”. Mit Krawatte, aber duzend.

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