Die Mühlen von Hedelfingen – historische Spurensuche

Lebendige Ortsgeschichte (Folge 34). Historisches aus und über Hedelfingen – unterhaltsam erklärt von Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer … Über Hedelfingen und Rohracker gibt es viel zu erzählen. Besonders gut und gerne tun dies der ehemalige Hedelfinger Bezirksvorsteher Hans-Peter Seiler und Hedelfingens Ortshistoriker Michael Wießmeyer. Seit Jahren begeistern die beiden Hedelfingen-Fans bei Vorträgen und Führungen ein stetig wachsendes Publikum mit ihren Geschichten über die Geschichte des vor gut hundert Jahren von Stuttgart eingemeindeten Neckarvororts. WILIH veröffentlicht hier eine Serie mit vielen interessanten Blicken auf die Historie Hedelfingens. In loser Folge wollen die Geschichten-über-Geschichte-Erzähler Seiler und Wießmeyer an dieser Stelle Lust auf Hedelfingen machen.

Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer beim Stöbern in historischen Fotos
Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer beim Stöbern in historischen Dokumenten

Thema dieser Folge: Die Mühlen von Hedelfingen – eine historische Spurensuche

Die Mühle bei Einöd. Die erste urkundliche Erwähnung einer Mühle ist beinahe so alt wie die urkundliche Erwähnung von Hedelfingen selbst. 1257 wird eine Mühle im Einöd erwähnt. Wie es mit der Einödmühle weiterging, wann sie zerstört wurde, ist allerdings nirgends urkundlich beschrieben oder feststellbar.

Graf Ulrich von Württemberg schenkt seinem Getreuen „Marquard auf dem Kirchhof“ seine Mühle bei Einöd mit ihren Zugehörden zu Eigentum. König Albrecht erlaubt dem Esslinger Bürger Marquard im Kirchhof den Bau einer Mühle bei der äußeren Brücke. Marquard war Bürger und Richter zu Esslingen. Er gehörte zu dem gehobenen Bürgerstand der Stadt.

Die Mühle bei Einöd bestand vermutlich schon länger, denn in der Urkunde betont Graf Ulrich, dass sie ihm „von alters her rechtmäßig zu Eigen“ gehört.

Die Mühle am Buchenwag. Eine zweite Mühle in Hedelfingen wurde 1305 erwähnt; König Albrecht erteilte dem Kloster Weil eine Baugenehmigung. Die Mühle war am Buchenwag und sollte mit drei ganghaften Rädern gebaut werden. Der mündlichen Überlieferung nach war es eine tiefe und tosende Stelle am Neckar, kurz vor der heutigen sogenannten „Schleuse Obertürkheim“, die auf Hedelfinger Gebiet liegt. Es war „Im Buawoog“. Die Schreibweisen haben sich immer verändert, je nach Kenntnis der damaligen Schreiber.

Otto Wurster hat im „Esslinger Heimatbuch“ über das Ende der Mühle des Klosters Weil folgendes geschrieben: „Am schlimmsten erging es ihm (Kloster Weil) im Kriege Graf Ulrichs des Vielgeliebten mit den Esslingern und ihren Verbündeten. Sie fingen die Feindseligkeiten gleich damit an, daß sie das Kloster ausplünderten und sämtliche Gebäude, samt Mühle bei Hedelfingen, in einen Aschenhaufen verwandelten“. (15. August 1449)

Dritte und letzte Hedelfinger Mühle. Die Geschichte der dritten und entscheidenden Hedelfinger Mühle begann 1411. Die Mühle ist in einem Plan neben der Straße nach Rohracker und der Einmündung der Straße nach Heumaden eingezeichnet. In die heutige Landschaft übertragen, befand sie sich am Katzenbach im Bereich der Unteren Heckenstraße – Heumadener Straße – Rohrackerstraße bis hin zum Ährenweg. Graf Eberhard III. erlaubt „seinem Schultheißen zu Wangen, auf die Mühlstatt ob Hedelfingen im Thal gegen Rohracker eine Mühle zu erstellen.“

Mit seinen Heimatheften „AUS WANGEN“ hat Martin Dolde die lokale Ortsgeschichte und deren Erforschung auf ein sehr hohes Niveau gestellt, das wir nicht annähernd erreichen. Warum ein Schultheiß aus Wangen Mühlenbesitzer oberhalb Hedelfingen gegen Rohracker werden kann, weiß Martin Dolde natürlich genau:

Der erste Schultheiß, den wir erwähnt finden, ist ein sogenannter reisiger Schultheiß, das heißt nicht ein von der Gemeinde zur Besorgung ihrer Angelegenheiten gewählter, sondern ein vom Landesherrn für seine Rechte in der Gemeinde und in kriegerischer Zeit auch für militärische Zwecke bestellter. Es war ein in der Gemeinde begüterter adeliger Dienstmann der württembergischen Grafen: Konrad von Wernshausen. Kraft einer Urkunde vom 3. März 1411 erlaubt Graf Eberhard der Milde diesem, seinem Schultheiß zu Wangen, zu Hedelfingen im Tal gegen Rohracker zu eine Mühle zu bauen. Eine solche bedeutete eine gute Einnahmequelle, weil die nächstliegenden Orte, also jedenfalls Hedelfingen, Rohracker und Sillenbuch in dieselbe „gebannt“, das heißt gezwungen waren, alle ihre Frucht da mahlen zu lassen.“ Soweit Martin Dolde in seinem Heft „AUS WANGEN“ 1983.

Ob irgendwann die Mühle in den Besitz der Propstei Nellingen kam, wird vermutet; belegen lässt sich dies nicht.

Johann Georg Boley von Berg erhält 1824 die Erlaubnis, bei den Mahlwiesen eine Mahlmühle mit zwei Mahlgängen und einem im Trillis laufenden Gerbgang zu betreiben. Für das Recht, die Mühle zu betreiben, musste er der königlichen Finanzkammer Ludwigsburg zwei Gulden bezahlen. Das Kameralamt Cannstatt war mit dem Einzug des Betrages beauftragt.

Arbeiter vor den Dampfziegelwerken
Arbeiter vor den Dampfziegelwerken – die alte Mühle war da noch nicht abgerissen

Es war wohl in der Zwischenzeit ein Besitzerwechsel erfolgt, da 1842 die Witwe von Johann Georg Brodbeck Wiesen an den Nachbar Gottlieb Weyhenmeyer verkaufte. Durch diesen Kauf konnte sich der Ziegelhersteller Gottlieb Weyhenmeyer, dessen Firma es seit 1828 gab, deutlich vergrößern. 

Zwei Wochen später verkaufte die Witwe Brodbeck die Mahlmühle mit den restlichen Grundstücken, die zwei Morgen betrugen. Der Morgen war eine Maßeinheit von 25 Ar bzw. ¼ Hektar. So wurden ½ Hektar zur Mühle dazu verkauft. Das gesamte Inventar wurde im Kaufvertrag aufgeführt: unter vielem anderen ein Mühlstein, eine Beißzange, zwei Tische in der Stube, acht Fässer im Keller. 

Otto Krauß aus Botnang hat die Mühle mit Grundstücken für 12.000 Gulden erworben. Er hat seinen Grundbesitz sofort durch Zukäufe erweitert. Um 6/8 Morgen und 31,7 Ruten vergrößerte er sein Gelände (eine Rute war eine Maßeinheit, die je nach Region unterschiedlich war). In Württemberg war eine Rute = 10 Fuß (à 28,649 cm) = 2,865 m.

Otto Krauß hatte wirtschaftlich sehr kritische Zeiten erlebt. Unbezahlte Rechnungen häuften sich, und von der Gemeinde Hedelfingen wurde zweimal ein Termin für den Zwangsverkauf der Mühle angesetzt. Und zwar schon sehr schnell nach dem Erwerb – bereits am 13. November und am 11. Dezember 1843. Offensichtlich ist es Otto Krauß gelungen, einen Vergleich zu erzielen. 

Ab 1845 ist Otto Krauß plötzlich Bleichereibesitzer. Finanziell hat er die großen Schulden nicht in den Griff bekommen, so dass er 1860 und 1865 Teilhaber für seinen Betrieb aufnahm. 

Plan von 1940 mit Mühlen und Ziegelhütte
Auf diesem Plan aus dem Jahr 1840 ist die Lage der Mühlen und Ziegelhütte zu erkennen

1868 wird Gustav Pfarr als Besitzer des Werkes genannt. Im Kaufvertrag wird der Zustand der Mühle und des Betriebes sehr schön beschrieben. Wohnhaus und Mühle werden von den Gebäuden der Bleicherei unterschieden. „Das Wohnhaus, außen im Dorf am Weg nach Heumaden und Rohracker im „Mühlbädle“ war zweistockig und hatte 5 beheizbare Zimmer. Die abgebaute einstöckige Mühle war mit einem Welschkorn-, zwei Weißmahlgängen und einem Gerbgang versehen. Die Mühle wurde mit zwei mächtigen oberschächtigen Wasserrädern von 24 Fuß (= 6,72 m) Durchmesser angetrieben.“

Bis 1888 war die Hedelfinger Mühle noch in Betrieb, dann wurde sie endgültig stillgelegt. Fortan mussten die Hedelfinger ihr Getreide in Oberesslingen mahlen lassen.

1922 wurden die alten Mühlengebäude schließlich abgerissen. Die Bleicherei wurde umgebaut, und anstelle der Mahlgänge entstand ein Lagerraum. Damit endete die über 600-jährige Geschichte der Hedelfinger Mühle endgültig.

Quellen: Archiv Stuttgart, Landesarchiv Stuttgart, Martin Dolde, Erich Dalferth, Otto Wurster.

Das Beitragsfoto oben zeigt ein historisches Postkartenmotiv aus Hedelfingen. Darauf sieht man im Vordergrund die Dampfziegelwerke mit dem Mühlhaus.

WILIH dankt Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer für diese Geschichte. Die historischen Fotos und Dokumente stammen aus dem Fundus des Alten Hauses Hedelfingen.

Nächstes Thema dieser Serie: Die Weingärtnergenossenschaft Hedelfingen wird 70 Jahre


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