Hedelfingen – seit 100 Jahren ein Teil von Stuttgart

Stuttgart-Hedelfingen, [post_published] … Seit hundert Jahren gehört Hedelfingen zu Stuttgart. Das war damals keineswegs ein Selbstläufer. Denn auch Esslingen buhlte um die Neckargemeinde. Das aufstrebende Hedelfingen besaß nämlich attraktive Grundstücke am Neckar. Wie wir heute wissen, zog Esslingen den Kürzeren. Am 1. April 1922 wurde Hedelfingen eingemeindet und ein Stadtteil von Stuttgart. Am 19. Juli wurde das Jubiläum der Eingemeindung im Stuttgarter Rathaus gefeiert. Leider mit einer überschaubaren Zahl geladener Gäste.

Raum für Neckar und Industrie

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass in diesem Jahr auch Botnang, Kaltental und Obertürkheim das Hundertjährige ihrer Eingemeindung feiern dürfen. Der Festakt im Rathaus gebührte demnach allen vieren. Wir konzentrieren uns hier auf Hedelfingen, die frühere „Gemeinde”, die heute Stadtbezirk und Stadtteil zugleich ist. Die Stadt Stuttgart ist nämlich verwaltungsmäßig in 23 Bezirke untergliedert. Einer davon ist Hedelfingen. Die „Zentrale” befindet sich mitten im Stadtteil Hedelfingen, im Bezirksrathaus an der Heumadener Straße 1. Der Chef dort ist Bezirksvorsteher Kai Freier. Zum Bezirk Hedelfingen gehören aber als Stadtteile auch noch Lederberg und Rohracker sowie – was vielen nicht bewusst ist – der zu 70 Prozent auf Hedelfinger Markung liegende Stuttgarter Hafen.

Hier schließt sich der Kreis zur jetzt gefeierten Eingemeindung 1922 , der 89 Prozent der Wählerinnen und Wähler zustimmten – bei einer Wahlbeteiligung von 50 Prozent. Damals bot Hedelfingen nämlich Raum für einen Neckarkanal sowie die Ansiedlung von Industriebetrieben, hatte also etwas zu bieten. Das leuchtete ein. „Ohne Hedelfingen hätte Stuttgart heute keinen Hafen”, behaupten deshalb selbstbewusst Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer (auf dem Foto von rechts). Die beiden Ortshistoriker skizzierten in ihrem eigens für den Festakt am 19. Juli erarbeiteten Vortrag das Fundament des heutigen Stuttgart-Hedelfingen und dokumentierten die Entwicklung des Jubilars bis ins Heute.

Obst, Gemüse und Wein – Alte Kirche und Kreuzkirche

Anhand historischer Bilder blickten sie auf Hedelfingen in einer Zeit, als der Neckar an Wochenenden noch ein beliebtes Naherholungsziel war. Das wünschen sich die Hedelfinger, und nicht nur sie, wieder zurück. Schöne Bilder zeugen auch von der Geschichte Hedelfingens als Ort des Obst- und Gemüseanbaus sowie des Weinbaus. Noch heute halten Hedelfingen und Rohracker mit je einem Obst- und Gartenbauverein sowie ihren beiden Weingärtnergenossenschaften diese Tradition aufrecht. Einer überlieferten Geschichte um die ortstypische Mostbirne verdanken die Hedelfinger bis heute ihren Necknamen „Knausbira”, wovon Thomas Bachmanns Meisterstück, eine künstlerisch gestaltete Birne am Erker des Bezirksrathauses, zeugt.

Beim Blättern in der Geschichte Hedelfingens entdeckten der Hedelfinger Bezirksvorsteher a.D. Hans-Peter Seiler und der Vorsitzende des Hedelfinger Fördervereins Altes Haus Michael Wießmeyer zahlreiche Wort- und Bilddokumente über die Alte Kirche. Sie ist nicht allein wegen ihrer Wandgemälde ein weit über Hedelfingen hinaus bekanntes Kleinod. Ein rühriger Förderverein konnte den Bestand dieser wunderschönen Kirche in den vergangenen knapp drei Jahrzehnten sichern und über ein beachtliches Spendenaufkommen sogar noch für eine neue Glocke und Orgel sorgen. Im Jahr 1930 wurde im seinerzeit bereits eingemeindeten Hedelfingen eine zweite Kirche eröffnet – die heutige Kreuzkirche. Beide evangelischen Kirchen liegen an der Amstetter Straße und gelten als Wahrzeichen von Hedelfingen. Sie werden vom inzwischen fusionierten Kirchen-Förderverein unterstützt.

Kirchen, Keltern, Rathäuser, Schulen und Wirtshäuser

Die Baukunst hat überhaupt Tradition im Stadtteil Hedelfingen. Neben zwei Kirchen, zwei Keltern und – Geselligkeit wurde wohl schon immer großgeschrieben – zahlreichen Wirtshäusern benötigten die Hedelfinger nämlich im Laufe der Zeit auch zwei Rathäuser – das jetzige wurde gerade umfassend saniert – sowie bis heute sieben Schulen. Bemerkenswert ist auch die Wirtschaftsgeschichte Hedelfingens. Neben der bereits erwähnten Landwirtschaft machte der Ort durch Dampfziegelwerke, eine Schleifmaschinenfabrik, einen Sportwaffenhersteller und eine Milchkur-Anstalt – die aus heutiger Sicht Bio-Milch erzeugte – auf sich aufmerksam. Besagte „Anstalt” lockte übrigens den Vegetarier Leo Vetter an, der ab 1912 im Haus Sonneck lebte, der heutigen Villa – mit Tagespflege – beim Emma-Reichle-Heim.

Eine Sonderstellung nimmt das Alte Schulhaus am Hedelfinger Platz ein. Es feierte gerade mit einem Tag der offenen Tür sein 20-jähriges Bestehen als Bürgerhaus von Hedelfingen. Seiler und Wießmeyer widmeten der guten Stube Hedelfingens am 16. Juli einen eigenen Vortrag. WILIH berichtete hier.

Heute leidet Hedelfingen unter dem Verkehr

Industrieansiedlung und Hafenbau führten zwar zu reichlich Arbeitsplätzen und einem beachtlichen Bevölkerungswachstum, dem Zug um Zug auch die Infrastruktur folgte. Allerdings – so geben nicht nur die Ortschronisten zu bedenken – hat sich Hedelfingen im vergangenen Jahrhundert vom idyllischen Neckarörtchen zum Verkehrsknotenpunkt mit tangierender Bundesstraße und täglich 25.000 Fahrzeugen im Ort verändert. Neue Aufgaben für die Verkehrsplaner liegen bereits auf dem Tisch – Stichworte sind die Hauptradroute und ein Kreisverkehr am Hedelfinger Platz.

Nicht verschwiegen haben Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer in ihrer Geschichte über die Geschichte von Hedelfingen, dass es immer wieder mal im wahrsten Sinne des Wortes zum Himmel stank. Zwar hat Hedelfingen keine Müllverbrennungsanlage, an der Deponie Einöd rief aber immer wieder einmal brennender Müll die Feuerwehr auf den Plan. Inzwischen ist die Deponie Einöd ein zertifizierter Entsorgungsfachbetrieb modernster Prägung. Und für viele Hedelfinger und deren Nachbarn ein gern genutzter Wertstoffhof. Dass die Deponie vom städtischen Eigenbetrieb Abfallwirtschaft Stuttgart (AWS) betrieben wird, ist eine späte logische Konsequenz der Eingemeindung vor hundert Jahren.

Michael Wießmeyers Schlusswort „Wir gehören gerne zu Stuttgart” hörte Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper gerne. Der OB kann sich revanchieren. Die Einladung zur Teilnahme an einem historischen Rundhgang durch Hedelfingen steht.

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