Wie Mutti vorm Kurhaus

Die Ferienzeit ist bekanntlich die schönste Zeit des Jahres. Eine eventuell abweichende Sichtweise eingefleischter Karnevalisten mal außen vor gelassen. Also genießen die meisten Zeitgenossen das Leben in diesen Tagen in besonders vollen Zügen. Womit eher weniger die Deutsche Bahn gemeint ist. Denn der Tourist des Jahres 2019 bewegt sich doch eher mit dem Auto an sein Urlaubsziel, wenn auch mitunter mühsam von Stau zu Stau zu Stau… Oder mit dem Flugzeug. Zumal nach wie vor favorisierte Urlaubsorte in der Türkei oder auf Mallorca – CO2 hin oder her – in überschaubarer Zeit eben nur über den Umweg durch die Lüfte zu erreichen sind. Endlich angekommen, verfliegt schnell das schlechte Gewissen und es werden Land und Leute erkundet. Könnte man meinen. Viele kennen diese im vergangenen Jahrhundert verbreitete Sitte aber nur noch aus Erzählungen von Oma und Opa. Der moderne Tourist braucht weder Landkarte noch Fernglas für seine Urlaubsunternehmungen. Ihm reicht einzig ein Smartphone. Es navigiert ihn so zuverlässig zu den Attraktionen dieser Welt, wie sie ihm in seiner Social Network-Löffelliste (Orte, die man besucht haben soll, bevor man den Löffel abgibt) nahegelegt werden. Am Ziel der Likes angekommen, muss dann erst mal ein Selfie gemacht werden. Cool gesytlt und urlaubsfröhlich vor dem angesagtesten Wahrzeichen des Urlaubsziels. Sieht auch nicht viel anders aus als das Polaroidfoto von Mutti vorm Kurhaus in den Siebzigern, kann aber via Insta­gram und Konsorten sofort um die Welt geschickt werden. Damit alle, die zu Hause geblieben sind oder zufällig gerade neben einem stehen, in virale Verzückung verfallen können. Schönen Urlaub!

Rundgeschaut … Die Seite 3 Kolumne aus dem WILIH … 7.8.2019