Besuch in der Problemunterkunft: Dicke Luft in der „Blumenhalle“

Ostfildern-Scharnhauser Park … Die „Blumenhalle” der Landesgartenschau 2002 dient seit einem guten Monat als Notunterkunft für Flüchtlinge. Obwohl die Halle groß ist, gibt es in der Massenherberge dicke Luft. Mitglieder des Freundeskreises Asyl Ostfildern gestatteten uns Einblicke. Warum gibt es hier Probleme? Eine Spurensuche.

„Ist das geil!” entfährt es Malte Eckert. Der ehrenamtliche Flüchtlingshelfer hatte gerade sein Auto aufgeschlossen, da kommt ein Mitarbeiter des Wachdienstes aus der „Blumenhalle” hinter ihm hergelaufen und überreicht ihm einen Packen Kuverts. Sie tragen alle die Anschrift der Flüchtlingsunterkunft an der Theodor-Rothschild-Straße 97 im Scharnhauser Park. Und sie kommen alle vom selben Absender: Die „GEZ” hat Übergangsbewohner der Notunterkunft angeschrieben. Sollen sie Rundfunkbeiträge bezahlen? „Die sind doch befreit”, meint Volunteer Eckert. Verrückte Welt: vorm Krieg aus dem Heimatland geflohen, im Formularkrieg angekommen. Willkommen im Schoß der deutschen Bürokratie!

Streit zwischen Bewohnern

Doch hätte die „Blumenhalle” nur das Problem mit der „GEZ”, wäre alles gut. Leider ist die Notunterkunft schon zweimal in die Schlagzeilen geraten. In diesem Zusammenhang ein doppeldeutiger Begriff. Schon vor Weihnachten prügelten sich Flüchtlinge. Sie waren als „Störer” bereits bekannt. Am Abend des 4. Januar kam es erneut zu Schlägereien. Ergebnis: ein Schwerverletzter, mehrere leicht Verletzte, Festnahmen. Einer der Täter sei anschließend in Untersuchungshaft gekommen, verrät Malte Eckert. Gegen ihn werde wegen versuchten Totschlags ermittelt, habe er gehört. An einigen Wänden in der „Blumenhalle” sind noch Blutspuren zu erkennen. Eine Tür ist aus den Angeln gerissen, ein Türblatt zeigt Einschläge. Die jungen Männer sollen mit Eisenstangen aufeinander los gegangen sein. Offenbar haben sie dafür ihre Stockbetten auseinandergenommen.

Grund des Streits? Eckert zuckt mit den Achseln. Als Ehrenamtlicher kann er zwar Hilfe anbieten, doch viele der Hallenbewohner interessiert das bislang herzlich wenig. Zwar haben sie wenige Tage vorher erst in der Eingangshalle ein fröhliches Fest gefeiert. Doch das hat einige von ihnen nicht daran gehindert, sich am 4. Januar fast die Köpfe einzuschlagen. Das Problem hat einen Namen. Nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand heißt es: Algerier! Ostfilderns Oberbürgermeister Christof Bolay hat es in seiner Neujahrsansprache ausgesprochen.

Am Rand der Verwahrlosung

Doch dem Rathauschef sind die Hände gebunden. Das Hausrecht hat der Landkreis Esslingen. Ostfildern bekommt die Flüchtlinge quasi vor die Tür gekippt. So hart muss man es formulieren. Malte Eckert berichtet, wie er während der Weihnachtsferienzeit in die „Blumenhalle” geht, nichts ahnend, um mal nach dem Rechten zu schauen. Er bemerkt, wie neue Stockbetten aufgebaut werden. Spediteure im Auftrag des Landratsamtes bringen massenhaft neue Möbel. Warum? Weitere 50 Flüchtlinge sollen kommen, heißt es. Dann machen die Männer Feierabend und verschwinden. Inzwischen wohnen im Scharnhauser Park 147 Flüchtlinge – alles Männer, Afrikaner, Afghanen, Syrer, insgesamt gut ein Dutzend Nationalitäten.

Einige von ihnen wirken freundlich und geben sich aufgeschlossen. Viele aber zeigen wenig Interesse, wischen und tippen auf ihren Smartphones, haben Kopfhörer in ihren Ohren, laufen herum. Einige kochen, Waschmaschinen laufen. In einem Schlafraum führt Malte Eckert ein kurzes Gespräch mit einem Bewohner, der offenbar schon einen Draht zu dem Freiwilligen gefunden hat. Die Luft ist zum Schneiden. In einer Ecke der Wohnküche stehen Kochtöpfe auf dem Boden, gefüllt mit einer undefinierbaren Brühe, in der Eierschalen noch zum Appetitlichsten gehören. Ein Bewohner gibt sich Mühe, mit einem leicht feuchten Wischmop den Flurboden zu reinigen. Zumindest tut er so. Welchem Reinigungsziel die Choreographie dient, ist nicht erkennbar. Die Algerier sind inzwischen separiert. Ihr Raum ist total vermüllt, Spinde sind aufgebrochen, es herrscht der pure Vandalismus. Der schlechte Zustand der zum Abbruch bestimmten Halle mag ein Problem sein, die heterogene Bewohnerstruktur ein anderes. Aber muss das alles wirklich sein? Die vor kurzem noch funkelnagelneuen Waschmaschinen beispielsweise sind über und über mit Waschmittel verschmiert, vielleicht auch mit etwas anderem. Sollten sie im März, wenn die „Blumenhalle” abgerissen werden soll, auf den Sperrmüll müssen, wäre das keine Überraschung. Nicht auszudenken, welche Zustände hier herrschen würden, wäre die Halle nicht so groß und die Menschen müssten noch enger aufeinander sitzen.

Ohne „Helden” ging’s nicht

Zwei Wachleute eines privaten Sicherheitsdienstes schieben rund um die Uhr in der „Blumenhalle” Dienst. Doch Respekt verschaffen können sie sich kaum. Trotz ihrer beachtenswerten Statur sind sie für etliche Flüchtlinge wie Luft. Und Sozialarbeiter? In Ostfildern Mangelware. Eine Hausverwaltung? Malte Eckert lacht. Soll heißen: Fehlanzeige. Kein Vorwurf, nur eine Feststellung. Vor Ort ist der Mangel zu verwalten, den der Landkreis an seine Kommunen delegiert. Was wäre eigentlich, wenn nicht so viele engagierte Bürger freiwillig und für Gottes Lohn nach ihren „Schützlingen” schauen würden? Ohne sie, die vielen Ehrenamtlichen des Freundeskreises Asyl, die OB Bolay in seiner Neujahrsansprache zu Recht als „wahre Helden” bezeichnet hat? Und die schon wieder Verstärkung benötigen. Denn die nächsten Flüchtlinge stehen bereits ante portas. Bis Mai soll die alte Schillerschule in Ruit auch noch als Notunterkunft dienen.

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