BI „Verkehrsentlastung 70619“: Kein Patentrezept in Sicht

Stuttgart-Sillenbuch … Mit einer Informationsveranstaltung im Gemeindesaal der Martin-Luther-Kirche führte sich am 23. November die neue Bürgerinitiative „Verkehrsentlastung 70619“ ein. Rund 50 Bürger waren gekommen, um sich mit den Auswirkungen drohender Fahrverbote auf den Stadtbezirk zu beschäftigen. Es wurden viele Gedanken diskutiert. Aber was hilft?

Einer der Sprecher ist Hermann Schöllhorn, wohnhaft am Feigenweg in Riedenberg. Er sei über die Debatte zum Luftreinhalteplan für die Landeshauptstadt und Fahrverbote für die Stuttgarter City aufmerksam geworden, berichtete er einleitend. Gemeinsam mit einigen Mitstreitern hat er deshalb eine Bürgerinitiative ins Leben gerufen (Foto). Sie hat den früheren Arbeitskreis Verkehr der Lokalen Agenda Sillenbuch wiederbelebt.

„Das Maß ist voll!“

Aus dem Neckartal zur Autobahn führe bei einem Innenstadt-Fahrverbot der Weg nur über die Hedelfinger Filderauffahrt und entweder via Riedenberg oder über Sillenbuch und Ruhbank zur Mittleren Filderstraße, zeigte Schöllhorn auf. Nach der Prognose käme eine Mehrbelastung von 2.000 „dreckigen” Fahrzeugen pro Tag auf den Stadtbezirk zu. Bei einer City-Maut läge die Zunahme täglich sogar bei 2.000 bis 4.000 Autos, bei einer Regelung mit geraden und ungeraden Kennzeichen im Wechsel sogar 4.000 bis 8.000 Fahrzeuge. Sein Fazit: „Das Maß ist voll!”

Das „System kommunizierender Röhren” erfordere für das chronisch überlastete Stuttgarter Straßennetz ein Gesamtkonzept, forderte Thomas Kiwitt in seinem Vortrag über die Regionalverkehrsplanung. Kiwitt ist Technischer Direktor beim Verband Region Stuttgart, in dem 179 Gemeinden vertreten sind. Die demografische Entwicklung lasse noch einen deutlichen Zuzug in die Region erwarten, sagte er voraus. Darauf müsse man sich durch die Schaffung von Wohnraum und die Verbesserung der Infrastruktur vorbereiten, forderte Kiwitt.

„Gut für Lobbyarbeit!“

Einen unvermeidbar „gewaltigen Umschwung” sagte der Verkehrsexperte für die Automobilindustrie voraus; neue Antriebstechniken erforderten aber neue Produktionsflächen. Gut für den Arbeitsmarkt, aber eine Belastung des regionalen Raums, des Wohnungsmarktes, der Verkehrswege. Die Folge: neue Mobilitätsansprüche. Dabei schneide die Region Stuttgart im Vergleich mit anderen Ballungszentren wie Berlin, Hamburg oder München gut ab: Die Pendelstrecken zwischen Wohnort und Arbeitsstätte seien im Stuttgarter Raum vergleichsweise gering. Das Verkehrssystem käme allerdings schon jetzt an seine Belastungsgrenze. Eine Veränderung sei – trotz Milliardeninvestitionen in den öffentlichen Nahverkehr – jedoch bis 2025 nicht zuwarten. Und: Eine Verschiebung hin zu deutlich mehr Rentnern lasse eine weitere starke Zunahme des Autoverkehrs erwarten. Grund: „Es wird gereist!” Der Freizeitverkehr werde schon in naher Zukunft eine größere Zahl erreichen als der Berufsverkehr.

Zwei Drittel der Bevölkerung der Region lebe in Gemeinden mit höchstens 10.000 Einwohnern. „Wir können den Menschen aber nicht die Infrastruktur nehmen“, beschrieb Thomas Kiwitt ein Grundproblem: Alle diese Menschen müssten in die Stuttgarter Innenstadt kommen können. Deshalb sei es wichtig, Optionen auf neue Straßen zu erhalten. So kam er auf die beiden lebhaft diskutierten Tunnellösungen aus dem Regionalverkehrsplanung zu sprechen. Im Regionalverband favorisiere man einen „langen Tunnel” zwischen Neckartal und Filder (Trasse 345). Die eingegangenen Stellungnahmen würden derzeit geprüft. „Ein gutes Feld für Lobbyarbeit”, warb er bei den Sillenbuchern dafür, eigene Interessen deutlich zu machen.

Hoffnung für das GSG

In der Diskussion wurden zahlreiche Vorschläge aus vergangenen Jahren und Jahrzehnten wiederbelebt – Beispiele: Tempo 30 auf der Kirchheimer Straße, eine Pförtnerampel am Eingang von Sillenbuch, die Verlegung der Stadtbahn auf die Straße und der Autos in den Tunnel, eine Umfahrung von Riedenberg, regelmäßige Kontrollen des LKW-Durchfahrverbots. Jedoch: Ein Patentrezept ist nach wie vor nicht in Sicht.

Ein akktuelles Problem sprach schließlich Ulrich Storz an. Wie wird sich der Regionalverband verhalten, wenn die Stadt Stuttgart einen Neubau-Beschluss für ein neues Geschwister-Scholl-Gymnasium (GSG) auf einer bisher für eine Filderauffahrt vorgesehenen Fläche fassen sollte, wollte der Sillenbucher Bezirksbeirat wissen: „Bauen lassen oder Einspruch einlegen?“ Thomas Kiwitt versprach: „Sie kriegen von uns eine klare Aussage im April.” Eine Vorabeinschätzung lehnte er ab; das Planungsverfahren sei ergebnisoffen. Zu Vertretern des GSG meinte er immerhin: „Gehen Sie davon aus, dass wir eine Lösung finden für Ihr Problem.” Wenn er Recht hat, kann es zwar sein, dass die Stadt ein neues Gymnasium baut – wann auch immer. Gegen die Verkehrsbelastung des Stadtbezirks wäre damit aber noch keine Lösung in Sicht…

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