Der Lebensmittelpunkt entsteht nicht am grünen Tisch

Ein neues Ortsschild an der Stadtteilgrenze von Stuttgart-Riedenberg wirft die Frage auf, wie „egal” es ist, wo man wohnt, Nachbarn und Freunde hat, wo man einkauft, seine Freizeit verbringt, sich im Verein oder gar kommunalpolitisch engagiert, wo die Kinder in den Kindergarten und zur Schule gehen, wo man sich „zugehörig” und „daheim” fühlt – also seinen Lebensmittelpunkt sieht. Natürlich werden auch Riedenberger, die am fernen Urlaubsziel erzählen, woher sie kommen, immer sagen: aus Stuttgart. Daheim wird sich jedoch bestimmt nicht jeder Riedenberger als Einwohner von Sillenbuch fühlen, des Stadtbezirks, zu dem „sein” Wohnort Riedenberg verwaltungsmäßig gehört. Die vom Bürger empfundene Zugehörigkeit zu „seinem” Stadtteil – auf die Sillenbuchs Bezirksvorsteher zurecht hinweist – lebt eben auch von Symbolen. Dazu gehören Ortstafeln. Stadtteile, die – wie Riedenberg – eine eigene Feuerwehr, Kirchengemeinde, Grundschule oder Stadtteilfeste haben, definieren sich eben nicht allein aus einer am grünen Tisch betrachteten Zugehörigkeit zu einer kommunalen Verwaltungseinheit. Wer meint, auf die Eigenständigkeit von Stadtteilen käme es in einer Großstadt nicht so an, dem sei empfohlen, dies einmal mit Alteingesessenen zu diskutieren. Wer seine Debatteneignung testen möchte, mag vielleicht auf einem Dorffest in Hedelfingen die These in den Raum stellen, Lederberg könne man doch eigentlich Heumaden zuschlagen. Beliebt machen kann sich auch, wer in Rohracker das Viertele erhebt, um auf Hedelfingen anzustoßen. Wahlweise umgekehrt. Nur zwei von vielen möglichen – augenzwinkernd vorgetragenen – Gedanken zum Thema Stadtteilzugehörigkeit und -identität. Natürlich hat eine Stadtverwaltung auch andere, übergeordnete Aspekte zu berücksichtigen. So weist die Landeshauptstadt in ihrer Stellungnahme im Zusammenhang mit dem Fall Riedenberg zurecht darauf hin, dass „ein Schilderwald verhindert werden soll”. Und dass auch Ortstafeln Verkehrszeichen im Sinne der StVO seien, „wonach eine unnötige Anhäufung zu vermeiden ist”. Die Straßenverkehrsordnung hebe eben „lediglich auf eine Ortstafel am Beginn der geschlossenen Bebauung ab”. Weiter schreibt die Stadt Stuttgart dazu: „Eine andere Handhabung würde nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz bedeuten, dass im gesamten Stadtgebiet bei jedem Übergang von einem Stadtteil zum nächsten solche Schilder zu platzieren wären. Bei 152 Stadtteilen potenziert sich das.” Stimmt. Aber das würde wahrscheinlich auch niemand fordern. Dass es bei genauerer Betrachtung möglich ist, einen großstädtischen Schilderwald zu verhindern und dennoch die Identität eines dorfähnlichen Stadtteils zu wahren, dafür mag jetzt die nachträglich gefundene Lösung für Riedenberg als Vorzeigebeispiel dienen.

Rundgeschaut … Die WILIH-Kolumne


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Ein Gedanke zu „Der Lebensmittelpunkt entsteht nicht am grünen Tisch

  • Norbert Klotz

    Ein herzhaftes, ausgeprägtes Stück von schwäbischem Verwaltungshandeln in der nicht so ganz seltenen, speziellen Stuttgarter Variante.

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