Auf liebgewonnenen Komfort verzichten?

Wir leben seit Jahrzehnten mit wachsendem Fortschritt und steigendem Wohlstand. Und vor allem in Frieden. Wir wissen auch seit mindestens 50 Jahren, dass Energiequellen nicht endlos sprudeln. Und dass die Umwelt unter hemmungslosem Energiekonsum leidet. Doch das Höher, Weiter, Schneller ging immer weiter. Wir haben unendlich viel entwickelt und immer neue Produkte auf den Markt gedacht. Dabei ist viel Segensreiches entstanden. Aber auch Einiges, das die Welt vielleicht nicht unbedingt braucht. Gab es vor einem halben Jahrhundert vielleicht fünf bis zehn verschiedene Joghurt- und Eissorten zu kaufen, haben wir uns inzwischen daran gewöhnt, meterlange Regale und Kühltruhen voller Produkte abzulaufen, bevor wir uns entscheiden. Die Qual der Wahl  nimmt mit jeder weiteren Produktdifferenzierung zu. Selbst Sorten oder Geschmacksrichtungen, an die man nie im Traum gedacht hätte, sind inzwischen käuflich. Und mit zunehmendem Wettbewerbsdruck kommen immer noch welche hinzu. Die immer weiter ausgedehnten Öffnungszeiten von Supermärkten, Verbrauchermärkten, Einkaufszentren und Discountern sind ein weiterer „Fortschritt”, an den wir uns gewöhnt haben. Natürlich ist es komfortabel, die vergessene Zitrone auch um 19.58 Uhr noch schnell kaufen zu können. Aber man könnte seinen Einkaufszettel auch etwas besser planen und die Zitrone draufschreiben. Würden die Geschäfte um 18 Uhr schließen, würde wahrscheinlich auch niemand verhungern. Zumal ja im Zweifel auch noch einer der unzähligen Pizzaboten oder Lieferdienste etwas Leckeres aus einer schier unendlich erscheinenden Liste sofort lieferbarer Gerichte direkt bis zu unserer Haustüre bringen könnte. Wir essen und trinken „to go”, bestellen beim Versandhändler, lassen Paketdienste durch die Gegend fahren, brauchen zu unserer Zerstreuung Streamingdienste, und und und. All‘ dies und noch viel mehr hat uns in einem schleichenden Prozess sehr verwöhnt. Jetzt ist aber eine Zeit  gekommen, in der Vieles davon überdacht werden könnte, ja vielleicht sogar sollte oder müsste. Vor allem, wenn sich dadurch Energie, die sehr knapp zu werden droht, einsparen lässt – was nebenbei auch den Geldbeutel entlastet, in dem nach der nächsten Nebenkostenabrechnung wahrscheinlich Ebbe ist. Bewusstsein entwickeln und nachdenken kann sich deshalb doppelt lohnen. Viele kleine Komfortverzichte können in der Summe nämlich Großes ausmachen. Je schneller wir uns auf diese Aufgabe konzentrieren, um so größer ist unsere Chance, mit kleinem Verzicht auszukommen. Bevor es ans „Eingemachte” geht. Ideen und Pragmatismus sind jetzt gefragt. Und nicht der Ruf nach immer noch mehr Staatshilfen. Die kommen nämlich nicht aus einem unerschöpflichen schwarzen Loch, sondern aus unser aller Portemonnaies. Ein trügerischer „Komfort”, an den man sich besser gar nicht erst gewöhnt.

Rundgeschaut … Die wöchentliche WILIH-Kolumne