Die Kirchheimer Straße aus der Sicht Behinderter

Stuttgart-Sillenbuch … Rund 30 Menschen trafen sich am 17. Oktober mit Walter Tattermusch an der Einmündung der Tuttlinger in die Kirchheimer Straße – unter ihnen zahlreiche Vertreter verschiedener Interessengruppen. Gemeinsam mit Sillenbuchs Vize-Bezirksvorsteher Hans Peter Klein und Bezirksbeiräten aller Fraktionen sowie einem Vertreter des Tiefbauamts machte man sich auf die Suche nach Barrieren und Problemzonen.

Interessen auszugleichen

Die Liste der Fundstellen, die nun zügig zusammengefasst werden soll, wurde lang. Beispiele: Plakate in Kopfhöhe an Masten, U-Bahn-Zugang ohne Bodenmarkierung, Gleichberechtigung von Fußgängern und Radfahreren, Poller an Gehwegkanten, Kundenstopper vor Geschäften, kein Hinweis auf den Haltestellenaufzug, private Fahrradständer im Laufbereich, selbstgebaute Sitzbänke vor der Eisdiele oder ein Lieferfahrzeug, dessen geöffnete Heckklappe im Kopfbereich in den Gehweg hineinragt. Letzteres Problem konnte Walter Tattermusch immerhin sofort lösen: Der Verantwortliche fuhr das Auto sofort aus dem Gefahrenbereich; er habe etwas gelernt, meinte der Behindertenbeauftragte hinterher.

Ein klassisischer Interessenkonflikt bestimmte die Diskussion auch bei dieser Begehung – ähnlich wie bereits in Wangen (WILIH 6.6.2018) und Hedelfingen (WILIH 20.6.2018): Während sich Rollstuhlfahrer niedrige Bordsteine wünschen, bieten höhere Gehwegkanten Sehbehinderten Orientierungshilfen. An den meisten Stellen entlang der Kirchheimer Straße sind die Bordsteine drei Zentimeter hoch. Das sei grenzwertig, aber normgerecht, hieß es. Im nahegelegenen Ruit gibt es aber an der Haltestelle und rund um den Kreisverkehr an der Horbstraße ein nachahmenswertes Gegenbeispiel zu besichtigen: unterschiedliche taktile Bodenmarkierungen, die hilfreich für die einen und leicht zu überwinden für die anderen sind. Und inzwischen seien akustische Signale an Fußgängerampeln sogar vorgeschrieben, meinte ein Vertreter der Sehbehinderten.

Ärger über DHL-Packstation

Ob Pragmatismus statt allzu starrem Festhalten an Normen nicht manchmal ein guter Weg sein könnte, war eine der Fragen, die in der an die Begehung folgenden Diskussion gestellt wurde. Die Interessen von Menschen mit Handicaps sollten auf jeden Fall künftig stärker ins Bewusstsein gebracht und bei Planungen berücksichtigt werden, forderte neben den Bezirksbeiräten auch Hans Peter Klein. Der stellvertretende Bezirksvorsteher war sichtlich „perplex”, wie viele Stolperfallen es entlang von Sillenbuchs Einkaufsmeile gibt.

Es gab aber auch einen Hoffnungsschimmer: Die bereits seit langem als gefährlich kritisierte Einmündung der Tuttlinger in die Kirchheimer Straße soll endlich eine Fußgängerampel bekommen. Ausgeklammert war bei dem Rundgang am vorigen Mittwoch das für Rollstuhlfahrer völlig ungeeignete Sillenbucher Bezirksrathaus. Sein schlechtes Beispiel sei „einzigartig” in Stuttgart, sagte Walter Tattermusch, und der Gemeinderat wisse dies. Doch: Wann ändert er das? Seit Jahren liegen Pläne für ein barrierefreies Bürger- und Veranstaltungszentrum mit Stadtteilbibliothek und Bezirksamt auf Eis. Ein zweites Ärgernis ist die DHL-Packstation am Sillenbucher Markt, die ebenfalls nicht barrierefrei ist. In dieser Angelegenheit korrespondiere er bereits seit zwei Monaten mit der Konzernleitung in Bonn, und inzwischen sei auch der Stuttgarter Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann eingeschaltet, berichtete Tattermusch. Doch noch schalte das Transportunternehmen auf stur.

„Meile“ will informieren

Der rote Faden, der sich durch die Analyse und Diskussion zog: An allen Enden fehlt es am nötigen Bewusstsein. Also wird es eine wichtige Aufgabe sein, die Nöte und Interessen behinderter Mitmenschen den nicht Behinderten bewusst zu machen. Und zwar immer wieder. Dazu unternahm Salvatore Ciminnisi gleich einen Vorstoß: Bei Stadtteilfesten könnte an einem Informationsstand auf die Bedürfnisse von Menschen mit Handicap hingewiesen werden, schlug der Vorsitzende der „Sillenbucher Meile” vor – vielleicht schon beim Martinimarkt am 4. November. Jede Maßnahme, die das Bewusstsein für den Umgang mit Handicaps stärke, sei gut, begrüßte Simone Fischer diesen Vorschlag. Sie vertritt die Interessen von Menschen mit Behinderungen bei der Stadt Stuttgart ab jetzt hauptamtlich; Walter Tattermusch nimmt diese Aufgabe noch bis zum Jahresende ehrenamtlich wahr. u mk

Wer Problemstellen bemerkt, meldet diese bitte via eMail an sillenbuch@stuttgart.de direkt beim Sillenbucher Bezirksamt.

Foto: Die Beteiligung an der Sillenbucher Begehung mit dem Behindertenbeauftragten Walter Tattermusch (vorne links) war groß.

Lokale Themen wie dieses nie mehr verpassen? Einfach diesen Blog abonnieren – und eine Mail bekommen, wenn es Neues gibt. Kostet nix, macht aber schlauer!