Erste Jahreszeitenwanderung – Rebschnitt am steilen Hang

Stuttgart-Rohracker … Anlässlich ihres hundertjährigen Bestehens in diesem Jahr lädt die Weingärtnergenossenschaft Rohracker viermal zu einer Jahreszeitenwanderung durch die einzigartige Kulturlandschaft am sonnigen Hang zwischen Frauenkopf und Rohracker ein. Die erste Führung fand am 23. Februar statt. Gezeigt wurden Schnitt und Anbinden der Reben. Die Fotogalerie mit 27 Bildern hier im Beitrag macht Lust auf mehr…

Geld verdienen könne man mit dem Weinbau am Steilhang nicht. Das stellt Markus Wegst gleich mal klar. Wer oberhalb von Rohracker einen Wengert betreibe, für den sei das ein Hobby. Wegst pflegt dieses Hobby selber, deshalb ist der Aufsichtsratsvorsitzende der Weingärtnergenossenschaft Rohracker auch ein idealer Lehrmeister. Bei herrlichem Sonnenschein folgte ihm am 23. Februar eine Gruppe Wissbegieriger auf eine zweistündige Nachmittagsrunde die Burghalde hinauf. Gezeigt und erklärt wurden das Schneiden und Anbinden der Reben – diese Winterarbeiten müssen die Wengerter bis zum März erledigt haben. Die Tour mit Markus Wegst war die erste von vier Jahreszeitenwanderungen durch die „Steil, aber oho“-Weinberge von Rohracker, die die örtliche Genossenschaft anlässlich ihres hundertjährigen Bestehens in diesem Jahr anbietet.

„Wenn man fünf Stunden g‘schafft hat, ist man platt“

In den 1950er Jahren hätten die Rohräcker Weingärtner die Chance auf die erste Rebflurbereinigung in Baden-Württemberg gehabt, erzählt Markus Wegst. Gottseidank hätten sie damals nicht gewusst, was das ist, und die Finger davon gelassen. Nur diesem Umstand sei es zu verdanken, dass die Weinhänge von Rohracker in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten geblieben sind. So präsentiert sich zwischen dem Frauenkopf und Rohracker heute eine einzigartige Kulturlandschaft mit pittoresken Weinbergmauern. Die hätten aber auch ihren praktischen Nutzen, sagt Wegst. Durch die Terrassierung gebe es wesentlich weniger Erosion als ohne Mauern. Außerdem sei die Arbeit im schrägen Weinberg überaus anstrengend: „Wenn man fünf Stunden g‘schafft hat, ist man platt.“ Deshalb ist der Hobbywinzer froh über jede Terrasse.

Vorbei an zahlreichen Weinbergen geht es langsam, aber ständig bergauf in Richtung Frauenkopf. Auf dem Weg zu seinem Wengert hält Markus Wegst immer wieder mal inne und erläutert Besonderheiten typischer Natursteinmauern, die klassisch von Hand aus Stubensandstein errichtet wurden. Das könne heutzutage kaum noch jemand, meint er. Doch einer dieser wenigen hat im nahen Hedelfingen seinen Betrieb: Martin Bücheler. Ein besonders gelungenes Beispiel seiner Handwerkskunst wird dank Wegsts fachkundiger Kommentierung ausgiebig begutachtet und findet großen Anklang.

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„Jeder Stock sieht mich 15 Mal im Jahr“

Im Wegstschen Wengert angekommen, gibt es erst mal einen Riesling und eine dunkelrote Cuvée mit dem schönen Namen „Barrick“ aus heimischem Anbau. Die organoleptische Prüfung mit Panoramablick ist eine schöne Belohnung für den Anstieg. Gleichsam dient sie als Einstieg in eine kleine Rebsortenkunde sowie in das „Sisypusgeschäft” (Markus Wegst) der Weinwirtschaft am Steilhang über Rohracker. „Jeder Stock sieht mich 15 mal im Jahr”, berichtet der Wengerter aus Überzeugung.

Dann legt er los. Ein Bündel Purpurweidenzweige in der einen, die Rebschere in der anderen Hand, geht es über schmalste Treppen, bei denen jede Stufe eine neue Überraschung bietet, zur Abwechslung bergab. Steil, aber oho. Und dann fängt Markus Wegst an. Schnipp, schnapp, ab. Der Laie kann kaum so schnell schauen, wie der Experte den Weinreben der Vorjahre zu Leibe rückt. „Aus dem letztjährigen Holz wachsen die Trauben“, erklärt er. Und sucht sich an jedem Weinstock möglichst zentrale Triebe aus, die er erhält und mit Zweigen der „Salix purpurea“ (Purpurweide) umweltfreundlich an den gespannten Drähten festbindet. Zwei Stammruten werden im Bogen nach unten bzw. seitlich als Strecker festgebunden. Eine Reserverute darf sich erst noch ungebunden nach oben entwickeln; sie dient als Notlösung, falls einer der Hauptäste abbricht. Oder als Frost­rute, weil sie eventuellem Bodenfrost besser widersteht. Auf ihr ruhen dann die Ertragshoffnungen, falls im Mai noch Stammruten erfrieren.

Die Termine der nächsten geführten Wanderungen

Ob Markus Wegst und seine Kollegen beim Rebschnitt alles richtig gemacht haben, und ob auch Petrus das 100 Jahre-Jubiläum der Rohräcker Wengerter zu würdigen weiß, wird man bei drei weiteren Wanderungen durch die steilen Weinberge Rohrackers sehen. Die Frühlingsrunde findet am Samstag, 6. April, statt. Im Sommer wird die Führung am Samstag, 6. Juli, angeboten. Und der Abschluss des Weinjahrgangs 2019 zeigt sich im Herbst, am Samstag, 21. September. Treffpunkt ist jeweils um 14 Uhr an der Endhaltestelle der Buslinie 62 bei der Weinklinge in Rohracker. Alle Führungen sind kostenlos. Eine Teilnehmerbeschränkung gibt es nicht. u mk

www.wg-rohracker.de

Foto oben: Markus Wegst weiß, worauf es beim Schneiden und Anbinden der Weinreben ankommt. Demonstration bei der Jahreszeitenwanderung am 23.2.2019.

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