Mehr Bürokratie wagen?

Die heiße Phase der Coronakrise war für viele Unternehmen nur dadurch zu meistern, dass sie Arbeitnehmer – mehr oder weniger unvorbereitet – im Home Office arbeiten ließen. Das ermöglichte der Firma die Erledigung des Tagesgeschäfts, während ihre Mitarbeiter isoliert und damit bei reduzierter Ansteckungsgefahr – für sich und ihre Kollegen – zu Hause arbeiteten. Das hat vielfach gut funktioniert – und damit auch viele Arbeitsplätze gesichert, manche vielleicht sogar gerettet. Gut, dass unsere Volkswirtschaft so kreativ und spontan auf die Notlage reagiert hat. Der eine oder die andere mag sich im Home Office sogar ganz gemütlich eingerichtet haben. Warum nicht vor dem Zähneputzen schon mal die Mails checken oder im Schlafanzug am Laptop die ersten Zeilen tippen? Und wer im Sommer auf Balkon oder Terrasse produktiver ist als am Schreibtisch – prima. Frische Luft ist gesund. Dabei sehen wir allerdings immer den akademisch gebildeten Single als Leitbild, der für seine Projektarbeit nur gute Ideen und einen Computer benötigt und deshalb auch aus seinem Loft heraus die Wirtschaft am Laufen halten kann. Und aus Unternehmenssicht ist schließlich nicht der Weg das Ziel. Es zählt nur das Ergebnis. Also alles gut? Nicht, wenn es nach Hubertus Heil geht. Zwar ist auch dem Arbeitsminister klar, dass der Arbeitsplatz in der Firma, im Außendienst oder auf der Baustelle die Normalität bleiben wird. Der Schreiner wird seine Bretter wohl kaum im heimischen Hobbykeller zurechtsägen, und der Bäckergeselle wohl kaum frühmorgens in der eigenen Küche Brötchen backen. Doch der Minister sieht eine neue Chance, sich für Arbeitnehmerrechte stark zu machen. Und die will der SPD-Politiker – ganz in der Tradition seiner Partei – nun fördern mit einem gesetzlich verankerten Recht auf Arbeit im Home Office. Zunächst für 24 Tage im Jahr. Dass er ausgerechnet die Arzthelferin, die in dieser Zeit daheim die Abrechnungen erledigt, als Beispiel aufbot, war wohl nicht besonders gut durchdacht. Wie überhaupt unsere Politiker gerne den Großkonzern als Maßstab wählen, wird auch bei Heils Idee deutlich, wie wenig immer wieder an die Umsetzbarkeit in kleinen und kleinsten Unternehmenseinheiten gedacht wird. Um in Heils Exempel zu bleiben: Wenn von zwei Arzthelferinnen eine zu Hause sitzt, mag das dem konzentrierten Abarbeiten von Schreibtischvorgängen durchaus dienlich sein. Die Warteschlange beim Blutabnehmen neigt aber bei Halbierung der Kapazitäten zur Verdoppelung gegenüber Normal. Und: Wann sind die 24 Tage denn abzuarbeiten? Monatlich genau zwei? Oder alle am Stück? Wie ist der heimische Arbeitsplatz – vom Arbeitgeber – auszustatten, zu organisieren, zu verwalten, zu kontrollieren – obwohl der Chef keinen Zugriff darauf hat? Wie funktioniert das arbeitsrechtlich? Versicherungstechnisch? Wer bezahlt das? Nicht „die Firma”! Letztlich zahlen immer die Verbraucher die Zeche! Was als Instrument zur Flexibilisierung der Arbeitswelt gedacht und eine Soforthilfe war und im Grundsatz geeeignet ist, das ist noch lange nicht auf alle Wirtschaftsbereiche und Zeiten anwendbar und von oben herab anzuordnen. Mit einer gesetzlichen Verpflichtung zum Home Office droht ein neues Bürokratiemonster. Brauchen wir das? Wollen wir wirklich noch mehr Bürokratie wagen? Ausgerechnet jetzt, wo mehr denn je Flexibilität gefragt ist? Und nicht eine zusätzliche Gängelung!

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