Turnhalle Rohracker: Warum nicht mehr im Bußbachtal?
Lebendige Ortsgeschichte (Folge 37). Historisches aus und über Hedelfingen – unterhaltsam erklärt von Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer … Über Hedelfingen und Rohracker gibt es viel zu erzählen. Besonders gut und gerne tun dies der ehemalige Hedelfinger Bezirksvorsteher Hans-Peter Seiler und Hedelfingens Ortshistoriker Michael Wießmeyer. Seit Jahren begeistern die beiden Hedelfingen-Fans bei Vorträgen und Führungen ein stetig wachsendes Publikum mit ihren Geschichten über die Geschichte des vor gut hundert Jahren von Stuttgart eingemeindeten Neckarvororts. WILIH veröffentlicht hier eine Serie mit vielen interessanten Blicken auf die Historie Hedelfingens. In loser Folge wollen die Geschichten-über-Geschichte-Erzähler Seiler und Wießmeyer an dieser Stelle Lust auf Hedelfingen machen.

Thema dieser Folge: Turnhalle Rohracker – Warum die Halle nicht mehr im Bußbachtal ist
Mit Eröffnung der Tiefenbachschule hat der Rohracker Sport- und Kulturverein (SKV) dort seine Turn- und Sporthalle erhalten, die er gemeinsam mit der Schule nutzt. Auch die Sportvereinsgaststätte „Rohreck“, derzeit „da Salvo“, ist in diesem Gebäude untergebracht. Die alte Turnhalle im Bußbachtal wurde aufgegeben und abgebrochen. Der SKV Rohracker hat sich mit drei weiteren Vereinen in Hedelfingen und Wangen zur SportKultur Stuttgart (SKS) verschmolzen.
Wie die Tiefenbachschule Rohracker im Vereins- und gesellschaftlichen Leben eingebunden ist, ist beispielgebend.
1887 gründete sich der Turnerbund Rohracker. Anfänglich turnte man im Hirschgarten der gleichnamigen Gaststätte oder bei schlechtem Wetter in deren Schuppen. Das Gasthaus Hirsch befand sich am sogenannten „Plätzle“ an der Ecke Rohrackerstraße/Sillenbucher Straße.
Bis 1901 durften die Turner beim Hirschwirt Schäfer Unterschlupf finden. Kurze Zeit waren sie dann in der Kelter, bis die Turner eine neue Unterkunft in der neugebauten Schule finden konnten. Die neugebaute Schule ist heute das Bürgerhaus Rohracker, Tiefenbachstraße 4. Im Untergeschoss dieses Gebäudes war ein Turnraum vorhanden. Turnmatten, wie wir sie heute kennen, gab es damals noch nicht. Man füllte den Raum mit Sägespannen, ca. 20 cm hoch.

Die zwei Schulräume, die in der neuen Schule vorhanden waren, reichten bald nicht mehr aus. Der Turnerbund musste den Turnraum räumen. Im Keller wurde ein weiteres Schulzimmer eingebaut. Aus diesem Grund wurde 1909 der Bau einer eigenen Turnhalle beschlossen. Ein Zuschuss war von der damals selbständigen, aber armen Gemeinde Rohracker oder von anderen Stellen nicht zu erwarten. Zu dieser Zeit zählte der Verein 142 Mitglieder.
Beauftragt mit der Planung der Turnhalle wurde der Architekt Wilhelm Wacker. Das Bauunternehmen Karl Bodenhöfer führte die Arbeiten aus. Die Decke wurde mit Spezialsteinen von den Dampfziegelwerken Weyhenmaier aus Hedelfingen hergestellt. Die Einweihung fand im August 1911 statt, und es wurde ein großes Turnfest mit Festzug veranstaltet.
Bald nach der Einweihung sangen dort auch die vereinigten Chöre des Arbeitersängerbundes. Weihnachtsfeiern und andere Veranstaltungen der Vereine wurden in der Turnhalle abgehalten, die zur Sport- und Kulturstätte und zur Stätte der geselligen Zusammenkunft der Rohracker Bevölkerung wurde.
Im Jahr 1927 hatte das sportliche und kulturelle Leben neue Bedürfnisse geschaffen. Die Turnhalle erhielt einen Bühnenanbau und damit im Wesentlichen ihre äußere Gestalt. Die Theaterabteilung hatte nun eine Spielstätte.

In der Zeit des Dritten Reiches wurden die Sportvereine nach und nach verboten. Nach dem Zweiten Weltkrieg und unter der Besatzungsmacht erwachte das Vereinsleben wieder. Die Turnhalle befand sich in einem völlig verwahrlosten Zustand. Der SKV Rohracker betrachtete es als seine Aufgabe, dieses Objekt für die Bevölkerung des Stadtteils zu erhalten. Der Verein begann – mit sehr viel Eigenleistung und ohne finanzielle Zuschüsse – die Halle nach und nach zu renovieren und dem modernen Sport- und Kulturbetrieb anzupassen. Am 15. Mai 1965 übergab die Vereinsleitung die renovierte Turnhalle den Sportlerinnen und Sportlern.
Die Instandhaltung und die Unterhaltung der Turnhalle war für den Sport- und Kulturverein ein nicht endendes Problem. Es war für die Verantwortlichen sehr schwer und es stellte sich die Frage, ob der Verein die Turnhalle auf Dauer behalten und betreiben könnte. Natürlich waren die alten Mitglieder, die persönlich Zeit, Kraft und Geld in die Turnhalle investiert hatten, komplett gegen einen Verkauf oder eine Abtretung an die Stadt Stuttgart. Das Unvermeidliche ließ sich aber nicht mehr aufhalten, und das Schulbauvorhaben unterhalb der Weinklinge wurde ausführungsreif. Eine Entscheidung musste getroffen werden.

Am 12. November 1970 wurde ein Übertragungsvertrag abgeschlossen. Der SKV übertrug das Gebäude Im Bußbachtal, Turnhalle mit Abort und Anbau, nebst Hofraum, Turnplatz und Staffel, sowie die angrenzenden Grundstücke an die Stadt Stuttgart. Dafür überließ die Stadt dem SKV Rohracker Vereinsräume in dem geplanten Neubau der Turn- und Versammlungshalle in Rohracker zur alleinigen Nutzung. Die Stadt übernahm die Schulden des Vereins und löste 18.126 DM bei der Landwirtschaftsbank Sillenbuch-Rohracker ab. Ebenfalls die Schulden von 2.304 DM bei den Mitgliedern der Naturfreunde-Abteilung. Das ist im Übernahmevertrag alles genau aufgelistet. Die Überlassung der geplanten Vereinszimmer im Untergeschoss der Turnhalle, Vereinszimmer, Jugendraum, Küche, Garderobe, WC, Fahrradraum und Kegelbahn; zusammen 373 qm. Der damalige Vorstand Gotthilf Bodenhöfer unterschrieb den Vertrag.
Die sportlichen Erfolge des Sport- und Kulturvereins Rohracker waren im Radsport unglaublich groß. Ursula Schäfer war Württembergische Meisterin im Kunstradfahren. Die aus der Jugend- und der Radsportabteilung stammende Iris Kurz sei als weiteres Beispiel genannt. Sie war 1991, 1993 und 1995 Weltmeisterin im Einer der Kunstfahrerinnen, die nach Rohracker für Bonlanden startete. Sie war die erste Frau, die den Handstand auf der Lenkstange eines fahrenden Rades beherrschte. Diese Erfolge konnte der Rohracker Radsport auch unter dem Dach der SportKultur Stuttgart fortsetzen. Innovationen der SKS führen den Sport und die Kultur in die Zukunft.
Das Beitragsfoto ganz oben zeigt Rohracker Bürger und Mitglieder des Sportvereins beim Turnhallenbau 1911
WILIH dankt Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer für diese Geschichte. Die historischen Fotos und Dokumente stammen aus dem Fundus des Alten Hauses Hedelfingen.
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