Ungleiche Notunterkünfte in Sillenbuch
Stuttgart-Sillenbuch … In der vorigen Woche wurden die Pläne für das Containercamp neben dem Geschwister-Scholl-Gymnasium (GSG) bekannt. Die Flüchtlingsunterkunft, die nach derzeitigen Informationen im Mai bezogen werden soll, wird Gemeinschafts- und Lagerräume enthalten, die der Notunterkunft an der Gorch-Fock-Straße 32 (GF 32) fehlen. Ein Konfliktpotential.
Seit Ende Januar ist die ehemalige Schule an der Gorch-Fock-Straße mit Asylsuchenden aus Afghanistan, Syrien und Irak belegt. Bei der Ertüchtigung zur Notunterkunft wurde allerdings einiges unterlassen, was für eine menschenwürdige Unterbringung eigentlich selbstverständlich sein sollte. Seit Ende des vergangenen Jahres kämpft der große Flüchtlingsfreundeskreis um Verbesserungen, fühlt sich aber immer wieder ausgebremst. Dabei geht es den Ehrenamtlichen gar nicht um sich – sie alle haben gute Wohnungen –, sondern um einigermaßen akzeptable Lebensbedingungen für notleidende Menschen, die sie als ihre Schützlinge betrachten. Dabei haben sie neben den Asylsuchenden, die von Sillenbuch aus ihre ersten konkreten Integrationsschritte gehen können, gleichermaßen eine gute Nachbarschaft mit den in Stuttgarter Bestlage Wohnenden sowie den sozialen Frieden im Stadtbezirk im Auge. All’ dies gelingt bisher ganz gut, doch unter der Oberfläche beginnt es zu knistern.
Nach wie vor hausen die Flüchtlinge hinter zerrissener Bettwäsche, an zahlreichen Fenstern der Unterkunft kleben Supermarktprospekte. Selbsthilfe! Es gibt nämlich weder Abtrennungen zwischen den Stockbetten noch Sichtschutz. Trotz zahlreicher Notlösungsideen und -angebote aus dem Kreis der Freiwilligen unternimmt die Stadtverwaltung immer noch nichts, um wenigstens etwas Privatsphäre zu ermöglichen. Dass es in dieser Hinsicht an der Gorch-Fock-Straße 32 mangelt, wurde durch einen Sitzstreik der Erstbewohner, die erst durch den Einsatz des Freundeskreises zum Bezug der Unterkunft überredet werden konnten, nachdrücklich unter Beweis gestellt (WILIH 24.2.2016). Doch in der Stadtverwaltung verschließt man Augen und Ohren vor den Defiziten und möglichen Folgen.
Als jetzt bekannt wurde, dass beim GSG ein funkelnagelneues Containercamp mit Dreier-Wohneinheiten, überdachten Gängen und Gemeinschaftsräumen aufgebaut wird, kamen im Stadtbezirk sofort Ideen auf, vor allem Familien aus der Massenunterkunft an der Gorch-Fock-Straße an die Unteren Hasenwedel umsiedeln zu können. Gleich beim ersten Orientierungstreffen für einen weiteren Flüchtlingsfreundeskreis beim Gymnasium (WILIH 9.3.2016) wurde dies offen ausgesprochen. Doch was passiert, wenn Flüchtlinge aus der Notunterkunft GF 32 im Mai das Containercamp unweit ihrer Haupteinkaufsquellen am Sillenbucher Markt entdecken und sehen, dass man dort nicht mit 15 anderen Menschen in einem Raum schlafen muss, sondern nur mit zwei? Dass es dort auch einen Raum gibt, in dem die Kinder unmittelbar bei ihrer Familie Hausaufgabenhilfe bekommen oder spielen können? Sind da nicht Konflikte programmiert?
Auf eine Anfrage von WILIH, ob Gemeinschaftscontainer wie beim GSG auch auf dem großen Gelände an der Gorch-Fock-Straße aufgestellt werden könnten, machte Stefan Spatz in der vorigen Woche deutlich, dass er dies nicht als Aufgabe der Stadt Stuttgart betrachtet. Der Leiter des Sozialamtes schrieb, dass dies „nur dann realisiert werden kann, wenn der Freundeskreis diese Kosten selbst übernehmen kann” und verwies auf Vorgespräche mit dem Freundeskreis, der sich seit Wochen um Kauf und Aufstellung eines gebrauchten Bürocontainers bemüht und dafür bereits großzügige Spenden erhalten hat. Dafür ist der Freundeskreis sehr dankbar. Gleichwohl vertritt er die Ansicht, dass es eigentlich nicht Aufgabe eines Freundeskreises oder privater Spender sein sollte, notwendige Gemeinschaftsräume oder Infrastruktur in einer kommunalen Flüchtlingsunterkunft schaffen zu müssen.
Auf unsere Nachfrage nach sachlichen Gründen für die ungleiche Behandlung zweier Flüchtlingsunterkünfte im selben Stadtbezirk – eine mit, eine ohne Raum für Hausaufgabenhilfen und Lager – ließ Spatz seinen neuen Abteilungleiter Marco-Oliver Luz antworten: „Die Stadt Stuttgart legt sowohl in all ihren System- und Containerbauten als auch bei angemieteten Unterkünften stets großen Wert darauf, dass für die Bewohner ausreichende Gemeinschaftsflächen vorhanden sind und auch Lagerflächen zur Verfügung stehen.”
Sonderfall Gorch Fock? Die Unterkunft an der Gorch-Fock-Straße 32 ist weder angemietet, noch handelt es sich um einen System- oder Containerbau, Grundstück und Gebäude gehören der Stadt. Ist somit aus Luz’ Antwort der Schluss zu ziehen, dass „GF 32” keine Gemeinschaftsräume braucht? Der Leiter der Abteilung Flüchtlinge im städtischen Sozialamt schreibt weiter: „Leider ist es uns nicht möglich, einen der Klassenräume, die derzeit der Unterbringung dienen, zu einem Gemeinschaftsraum umzuwidmen.” Das wäre natürlich der Königsweg, aber danach wurde gar nicht gefragt.
„Helfen Sie uns beim Helfen” bittet der Freundeskreis Flüchtlinge Sillenbuch um jede noch so kleine Spende auf sein Spendenkonto bei der Ev. Kirchengemeinde Sillenbuch. Verwendungszweck: Flüchtlinge Gorch-Fock-Straße, BW-Bank, IBAN: DE76 6005 0101 0004 0770 53, BIC: SOLADEST600. Freundliche Angebote für Sachspenden erbittten die Ehrenamtlichen an sachspenden@freundeskreis-fluechtlinge-sillenbuch.de. Auf seiner Webseite informiert der Freundeskreis immer über den aktuellen Spendenbedarf in der Notunterkunft: www.freundeskreis-fluechtlinge-sillenbuch.de.
Mehr hierzu im WILIH vom 16.3.2016 – ab 15.3.2016 auf dieser Seite im ePaper Archiv.
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