Bürgerzentrum plus – ein Multi-Millionen-Projekt

Stuttgart-Sillenbuch, [post_published] … Es gibt Dinge, die im Verdacht stehen, durch Abwarten an Wert zu gewinnen. Kunstwerken beispielsweise, Schmuck, Oldtimern oder Wein wird dies gerne nachgesagt. Architekturentwürfe und Baupläne gehören in aller Regel nicht zu dieser Kategorie. Doch vielleicht wird man eines fernen Tages in Stuttgart sagen: Gut, dass wir so lange gewartet haben. Statt angedachtem Bürgerzentrum mit Feuerwehr zeichnet sich für Sillenbuch jetzt eine Neuausrichtung ab – Bürgerzentrum plus Feuerwehr. Also nicht ein Gebäude, sondern zwei.

Alte Pläne müssen überarbeitet werden

Die Grundstruktur für das mutierte Multi-Millionen-Neubauprojekt beim Ostfilderfriedhof steht fest. Die Pläne aus dem Jahre 2009 sollen noch verwendbar sein – obwohl sich seitdem viele Rahmenbedingungen gravierend geändert haben. Die neue Planung kommt nun scheibchenweise ans Licht. Offenbar soll es – räumlich getrennt – einen neu zu planenden Neubau für die Berufs- und Freiwillige Feuerwehr sowie den seit dreizehn Jahren geplanten für das Bürgerzentrum geben. Über Zeitschiene, Kosten und Finanzierung gibt es allerdings noch keine Informationen.

Über die Jahre rückte das einstige Vorzeigeprojekt zunehmend in den Hintergrund, kam allenfalls noch in Zeitlupe voran. Es war daher nicht ganz einfach, das Vorhaben nun wieder auf die Agenda zu hieven. Nach mehreren Anläufen hatte der Stuttgarter Gemeinderat für den Doppelhaushalt 2020/21 zwar wenigstens Mittel für die Planung des Sillenbucher Bürgerzentrums zur Verfügung gestellt. Doch erst zwei Anträge der Sillenbucher CDU – gestellt im Februar und erneuert im Juni – sowie einer der Freien Wähler im Gemeinderat machten der Stadtverwaltung im Frühsommer Beine. Am 20. Juli stand endlich ein Sachstandsbericht auf der Tagesordnung des Sillenbucher Bezirksbeirats.

Zu dieser Sitzung lag den Bezirksbeiräten eine gut zweiseitige Stellungnahme von Thomas Fuhrmann vor, die – ausweislich des Eingangsstempels – erst fünf Tage vor der Sitzung im Bezirksamt Sillenbuch eingegangen war. Der Stuttgarter Wirtschafts- und Finanzbürgermeister berichtet darin über die Historie des Projekts und skizziert das bisherige und geplante weitere Verfahren.

Kernaussagen: Die Ursprungspläne aus dem Jahr 2009 entsprechen nicht mehr heutigen Standards und Vorschriften für Feuerwehrhäuser, der Raumbedarf für Stadtteilhaus und Verwaltung ist heute höher als damals angenommen, die ursprünglich geplante Unterbringung des Sillenbucher Feuerwehrmagazins im Bürgerzentrum lässt sich insbesondere wegen einer inzwischen geänderten Rechtsauslegung zum Lärmschutz nicht mehr genehmigen.

Langersehnte Information fällt im Bezirksbeirat komplett durch

Also alles zurück auf Anfang? Vor allem die kryptisch beschriebenen Erfordernisse der Feuerwehr führen jetzt angeblich zu weiteren Verzögerungen auch beim Bürgerzentrum. Fazit: Bevor es mit einem Vorprojektbeschluss – der eigentlich schon längst vorliegen sollte – weitergehen kann, müssen die „Raumanforderungen für die Feuerwehrnutzung vorliegen”. Bis wann? Unklar. Nicht verständlich erklärt wurde zudem, warum es für die beiden jetzt voneinander unabhängigen Bauvorhaben einen gemeinsamen Vorprojektbeschluss geben muss. 

Mit dieser Auskunft konnte der Sillenbucher Bezirksbeirat wenig anfangen. Und Rückfragen waren nicht möglich, da „infolge von Personalmangel” kein Vertreter des städtischen Liegenschaftsamts dem Bezirksbeirat Rede und Antwort stehen konnte.

Die Bezirksbeiräte diskutierten so zwar engagiert über das Bürgermeister-Schreiben, konnten aber schließlich nur die verklausulierten Äußerungen sowie die späte Information seitens der Stadt kritisieren. Dies taten sie allerdings mit deutlichen Worten. An der Stellungnahme sei Vieles unklar, hieß es. Insbesondere wurde nicht verstanden, warum die angeblich von der Feuerwehr ausgehende Lärmproblematik leichter zu lösen sein soll, wenn neben der Freiwilligen auch noch die Berufs-Feuerwehr beim Ostfilderfriedhof untergebracht werden soll. Hier hätte vielleicht eine Aussage zur geplanten Gebäudeanordnung helfen können. Von mehreren Seiten wurde der Stadt „Verzögerungstaktik” unterstellt. Der Bezirksbeirat demonstrierte Einigkeit im Ärger über die Stadt.

Daraufhin überraschte der Bezirksvorsteher mit einer Kehrtwende. Hatte sich Peter-Alexander Schreck, der nach längerer Pause wieder eine Sitzung leitete, zuvor die Stellungnahme des Bürgermeisters zu eigen gemacht, ließ er plötzlich kein gutes Haar mehr an ihr. Ungewohnt heftig kritisierte er Fuhrmanns Schreiben als „zweidimensional” und die vorgebrachten Gründe für die Verzögerung als „Standardargumente”. Mit dieser Stellungnahme, so Schreck weiter, sei „nichts anzufangen”. So sei sie „nicht hinzunehmen”. Warum er sie kopiert und anonymisiert als eigene Presseinformation herausgegeben hatte, bleibt sein Geheimnis. Eine klare Linie sieht anders aus.

Das angeblich für den Stadtbezirk so wichtige Großprojekt bekommt seit Jahren keinen Rückenwind mehr aus dem Bezirksamt – von gelegentlichen Lippenbekenntnissen abgesehen. Sicher auch ein Grund dafür, dass das Vorhaben „Bürgerzentrum” leicht auf die lange Bank zu schieben war.

Da capo! Die Bezirksbeiräte verlangen, ernst genommen und umfassend informiert zu werden. Nach der Sommerpause sollen Vertreter der beteiligten Ämter und der Feuerwehr persönlich in einer Sitzung des Bezirksbeirats Sillenbuch berichten und Fragen beantworten.

Was hat Sillenbuch mit Stuttgart 21 zu tun?

Hatte man anfangs den Eindruck, im Schlepptau des Bürgerzentrums könnte die Sillenbucher Feuerwehr neue Räume bekommen, sieht es jetzt eher umgekehrt aus. Weil die Berufsfeuerwehr eine Wache in Sillenbuch benötigt und die Freiwillige Feuerwehr daneben ein neues Magazin bekommen soll, profitiert plötzlich auch das Bürgerzentrum. Ohne Magazin für die Freiwillige Feuerwehr ließe sich nämlich der von einst 2.200 auf nun 3.200 Quadratmeter gestiegene Raumbedarf für Amtsstuben decken. Rechnerisch zumindest. Wie entstand eigentlich dieser Mehrbedarf von fast der Hälfte? Als Gründe für diese „Flächenmehrung” nennt die Stadt beispielhaft das JobCenter sowie die Aufnahme eines „Stadtteilhauses”. Allerdings setze die Realisierung einige „Planungsänderungen” voraus, wendet sie ein. Das soll wohl heißen: Es geht, aber wir wissen noch nicht, wie.

Wie kam es zu der völligen Neuorientierung? Der Feuerwehrbedarfsplan für die Stadt Stuttgart wurde überarbeitet und liegt jetzt in der Endfassung vom 22. Februar 2022 vor. Wesentliche Bestandteile sind eine Erweiterung des Netzes von Feuerwachen der Berufsfeuerwehr um drei Standorte – zwei im Süden, einen im Norden von Stuttgart. Notwendig machen dies vor allem die Stuttgart 21-Tunnel. „Insbesondere wird das Szenario ‚Brand in einer unterirdischen Verkehrsanlage‘ im Hinblick auf die Anforderungen durch das Bauprojekt Stuttgart 21 angepasst”, heißt es auf Seite 48 des neuen Bedarfsplans.

Der östliche der neuen Süd-Standorte soll in Sillenbuch sein – eine Außenstelle der neuen Feuer- und Rettungswache 5, die von ihrem bisherigen Standort  an der Tränke in Degerloch auf das ehemalige Hansa-Areal an der Sigmaringer Straße 115 in Möhringen umziehen wird, wo zur Zeit noch gebaut wird.

Außerdem erinnert der Bedarfsplan an einen seit Jahren geforderten Magazin-Neubau für die Freiwillige Feuerwehr Sillenbuch. Jetzt war es naheliegend, für beide Feuerwehren ein städtisches Grundstück in Sillenbuch ins Auge zu fassen. Gefunden wurde es am Höhenringweg, auf dem Parkplatz beim Ostfilderfriedhof, nördlich des heutigen Park & Ride-Parkplatzes bei der Stadtbahnhaltestelle „Schemppstraße”.

Eine wohl unvermeidliche Folge der Umplanung wäre der Wegfall der jetzigen oberirdischen Friedhofsparkplätze. Sie könnten „in einer öffentlichen Tiefgarage der neuen Gebäude nachgewiesen werden und barrierefrei erreichbar sein”, teilt die Stadt auf Anfrage mit. Zudem bleibe „die direkte Vorfahrt vor den Friedhofseingang” zum Ein- und Aussteigen „unverändert möglich”. Zur Parksituation während der Bauphase gibt es noch keine Aussage.

Schürmann-Bau in veränderter Form realisierbar

Der Siegerentwurf des damaligen Architekturwettbewerbs für ein Sillenbucher Bürger- und Veranstaltungszentrum einschließlich Bezirksamt und Feuerwehrmagazin stammt aus dem Sillenbucher Architekturbüro Schürmann, das jetzt auch im Wettbewerb für den Sanierungsbeubau des Geschwister-Scholl-Gymnasiums die Nase vorn hatte. Der Entwurf aus dem Jahr 2009 „kann so weiterentwickelt werden, dass kein neuer Architektenwettbewerb erforderlich ist”, sagt die Stadt.

Aber wann wird mit der Überarbeitung begonnen? Dazu teilt die Stadt auf Anfrage mit, dass im Anschluss an ein „zum Herbst” erwartetes „aktualisiertes Raumprogramm” für das kombinierte Feuerwehrprojekt „die Machbarkeit auf dem städtischen Gelände nördlich des Plangebiets des Bürgerzentrums (also am Höhenringweg, d. Red.) für den Feuerwehrstandort geprüft” werden soll.

Und wie lange dauert das Verfahren? Da das bestehende Planrecht zu ändern sein wird, „bis zu fünf Jahre”, schätzt man im Amt für Stadtplanung und Wohnen. Immerhin rechnet man bei der Stadt mit der Fassung des Vorprojektbeschlusses „zum Jahreswechsel”. Dieser Beschluss soll die „Trennung der beiden Neubauvorhaben in zwei eigenständige Projekte beinhalten”. Anschließend können die Neubauten für Bürgerzentrum und Feuerwehr unabhängig voneinander geplant und realisiert werden.

„Bei Einhaltung des bereits bestehenden Planrechts” könne das Bürgerzentrum „kurzfristiger” realisiert werden, zeigt man sich bei der Stadt optimistisch. Allerdings müsse dann erst einmal ein „Planerteam gesucht und verpflichtet werden”. Erst danach „kann begonnen werden, die Planung, die Kosten und weitere Terminschiene zu entwickeln”. In einer aktuellen Projekt- und Maßnahmenliste für budgetierte Bauvorhaben (Gemeinderatsdrucksache 378 vom 7.7.2022) ist von einem „Planungsbeginn” im Jahr 2023 für das Bürgerzentrum sowie im Jahr 2024 für die Freiwillige Feuerwehr Sillenbuch die Rede.

Was wird das letztendlich wohl alles kosten?

Erwarten, aktualisieren, prüfen, beginnen zu entwickeln. Man muss kein Prophet sein, um zu vermuten, dass es mit der Einweihung der beiden Neubauten noch in diesem Jahrzehnt knapp werden könnte. Und dass das Investitionsvolumen bis dahin auf ein Vielfaches der ursprünglich kalkulierten zwölf Millionen Euro anwachsen wird, wäre auch keine Überraschung. Zumal Inflation, Lieferengpässe und Handwerkermangel über das gewohnte Maß hinaus preistreibend wirken. Vergessen sollte man auch nicht, dass Bezirksamt und Freiwillige Feuerwehr an der Aixheimer Straße 28 nicht in eigenen Räumen residieren, sondern Miete zahlen müssen. Insofern wird man das lange Warten vielleicht eines fernen Tages doch eher kritisch bewerten.

Foto: Auf dem unteren Teil des heutigen Parkplatzes beim Ostfilderfriedhof soll eine Außenstelle der Feuerwache 5 sowie ein Magazin für die Freiwillige Feuerwehr Sillenbuch gebaut werden.


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