Flaschenboden zuerst – Kopfkino am Leergutautomaten

Zu den unfreiwilligen Pausen im Leben des Gegenwärtigen gehören die Wartezeiten hinter Menschen, die vor einem in der Schlange am Leergutautomaten des Supermarktes stehen. Diese Zeit lässt sich nutzen für Feldstudien zum Konsum- und Sozialverhalten. Da kann das Kopfkino ganz schön in Schwung kommen. Nehmen wir den semiprofessionellen Flaschensammler, der – bevorzugt in Gelben Säcken oder blauen Einkaufstaschen eines bekannten schwedischen Möbelhauses – massenhaft Plastikflaschen heranschleppt, um sie Stück für Stück und stoisch in den Automaten einzulegen, dessen Förderband alsbald zu Überforderung neigt und mit gut gemeinten, wenn auch meist unzutreffenden Hinweisen wie „Flaschenboden zuerst” sich die eine oder andere Verschnaufpause besorgt. Unnötig, zu erwähnen, dass solche Massenfütterungen bevorzugt samstags zur besten Einkaufszeit vorgenommen werden, was zu beklagenswert langen Menschenansammlungen vor dem Automaten führt. Die Wartenden beim Warten zu beobachten, war immer schon ein Vergnügen – vor allem, wenn man selber weit vorn in der Schlange steht und seine Blicke nach hinten schweifen lassen kann. In Coronazeiten und bei besonderen Abstandsregeln stellen sich ganz neue Herausforderungen, die über das Platzieren der eigenen Leergutbestände möglichst mitten in den Lauf von Passanten oder Leergutautomatenrückkehrern weit hinausgehen. Richtig spannend wird es, wenn das Display am Automaten signalisiert, dass man jetzt dem Marktpersonal einen Hinweis auf Überprüfung der Leergutannahme geben soll. Was viele nämlich wohl nicht wissen, ist, dass hinter dem Automaten längst nicht alles automatisch geht. Irgendwann sind nämlich die Raumkapazitäten im Hintergrund erschöpft, sprich: Es passt nichts mehr hinein. Und dazu ist in Zeiten der zunehmenden Roboterisierung dann doch noch ein Mensch vonnöten, der die niedrigen Dienste des Aufräumens übernimmt. Augen auf bei der Berufswahl! Das „Rufen” des Marktpersonals stellt übrigens eine nicht zu unterschätzende intellektuelle Herausforderung dar – seitens der Rufenden wie auch der zu Rufenden. Folge: Es dauert. Zeit für interessierte Blicke in die Leergutvorräte der Mitwartenden. Wie soll man sich auch sonst die Zeit vertreiben? Warum hat der vor mir so unendlich viele Coladosen dabei? Kann der die ernsthaft alle selber ausgetrunken haben? Wie lange braucht man dafür? Und warum trinkt jemand Cola wohl ausschließlich aus Dosen? Weil er von der ganzen Familie diese Adventskalender-Trucks voller Coladosen bekommen hat? Oder bei der Arbeit vielleicht? Handwerker? Nein, so sieht er nicht aus. Im Kopfkino läuft der nächste Film ab: Wo stellt wohl ein durstiger Dachdecker in schwindelnder Höhe eine geöffnete und nicht wieder verschließbare Coladose ab? Zurück zum Thema: Wie ein Leergutsammler sieht der Vordermann auch nicht aus. Der würde aller Erfahrung nach seine Dosen nicht penibelst neben- und aufeinander in einer Faltkiste verstauen, die wie für Coladosen gemacht erscheint. Beamter vielleicht? Wo bekommt man eigentlich Behältnisse für die geordnete Sammlung und Rückführung recycelbarer Packungen? Für Kronkorken vielleicht. Oder Joghurtbecher. Apropos: Warum gibt es gefühlt noch mehr verschiedene Plastikbecher als Joghurtsorten? Und was haben Stückchen von Käsekuchen im Joghurt zu suchen? Oder Chiliatome in Schokolade? Lautes Räuspern von hinten. „Entschuldigung, ich war in Gedanken.” Das Kopfkino schließt jetzt, der Automat funktioniert wieder.

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