Flurneuordnung über dem Dürrbachtal – pro und contra

Stuttgart-Hedelfingen/Wangen, [post_published] … Die Stadt Stuttgart möchte zwischen Wangener Höhe und Dürrbachtal eine Flurneuordnung durchführen. Ihr Grobkonzept hat sie am 24. Januar 2023 in der Sitzung des Bezirksbeirats Hedelfingen vorgestellt. Es löste wenig Begeisterung aus. Kritisch betrachtet wird vor allem die Idee, den historischen Grenzwandel zwischen Rennweg und Dürrbach als Feldweg auszubauen und zu befestigen. Das mag zwar einigen Weingärtnern nützen, stört aber Naturschützer. Am Samstag, 29. April, gibt es eine geführte Begehung des fraglichen Areals. Dazu sind alle Interessierten – ob pro oder contra Flurneuordnung – herzlich eingeladen.

Geführter Rundgang am 29. April

Der Treffpunkt ist beim Emma-Reichle-Heim an der Rohrackerstraße 172 in Hedelfingen. Los geht es um 10 Uhr. Die Wanderung soll bis hinauf zum Rennweg führen und maximal bis 13 Uhr dauern. Festes Schuhwerk ist dringend erforderlich! Die Wanderung führt auch über enge und zum Teil unbefestigte Wege sowie steile Treppen. Gute Kondition sowie Kleidung und Schuhe, die auch schmutzig werden dürfen, sind empfehlenswert. Für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen ist die Begehung nicht geeignet. Zu empfehlen ist die Mitnahme von Getränken und bei Bedarf einem kleinen Vesper für zwischendurch. Da die Wanderung bei jedem Wetter stattfindet, ist erforderlichenfalls auch an Regenkleidung zu denken. Die Wanderung erfolgt auf eigene Gefahr!

Die Führung übernehmen Hedelfingens Bezirksvorsteher Kai Freier und als Experte Gerd Holzwarth. Der Diplom-Vermessungsingenieur leitet beim Landratsamt Rems-Murr-Kreis den Fachbereich Flurneuordnung und begleitet das Neuordnungsvorhaben der Stadt Stuttgart fachlich. Holzwarth hatte die zunächst mit dem Etikett „Wangener Höhe” versehenen Pläne im Januar gemeinsam mit Elisabeth Bender vom Stuttgarter Amt für Stadtplanung und Wohnen den Hedelfinger Bezirksbeiräten vorgestellt. Da der neu zu ordnende Bereich weniger mit Wangen als mit Hedelfingen beziehungsweise Rohracker zu tun hat, lautet der Arbeitstitel inzwischen „Flurneuordnung Dürrbachtal”.

Impressionen von einem Spaziergang an einem sonnigen Februarnachmittag durch die einzigartige Naturlandschaft zwischen Dürrbach und Wangener Höhe finden Sie in unserer Fotogalerie.

Warum eine Flurneuordnung?

Die Stadt Stuttgart benötigt regelmäßig Flächen zur Kompensation von Bau- und Infrastrukturmaßnahmen, die zu Eingriffen in die Natur führen. Als dafür „besonders geeignet” sieht man bei der Stadt die Südseite der Wangener Höhe an. Besonders die Steillagen mit ungenutzten und verwilderten Grundstücke sind in den Blick genommen worden. Wertvolle Lebensräume wiederherzustellen, die Artenvielfalt zu stärken und Erholungsqualität zu bieten, werden als wichtige Ziele genannt. Außerdem sieht man bei der Stadt die Möglichkeit, die „Zuwegung zu den noch genutzten Weinbergen” zu verbessern.

Die Struktur der Eigentümer der oft kleinen Gartengrundstücke sowie der Weinberge oberhalb des Dürrbachs ist inhomogen und daher unübersichtlich. Ein Grundwerwerb zum Erreichen der Ordnungsziele wäre deshalb schwierig. Für solche Fälle gibt es das Instrument der  Flurneuordnung.

Müssen alle mitmachen, und wer trägt die Kosten?

Sehr schnell kam in der Januarsitzung des Hedelfinger Bezirksbeirats die Frage auf, ob alle betroffenen Grundeigentümer zustimmen müssen. Gerd Holzwarth stellte damals klar: Ein „Wunschkonzert” ist das nicht! Im abgegrenzten Gebiet seien grundsätzlich alle dabei. Wer aber nicht mitmachen wolle, müsse dies nicht. Freiwilligkeit sei oberstes Gebot.

Und wie sieht es mit den Kosten aus? Beträge wurden bisher nicht ansatzweise genannt. Holzwarth erwähnte zwar Fördermöglichkeiten des Bundes wie des Landes. 70 Prozent der Aufwendungen ließen sich so abdecken, den Rest müssten aber grundsätzlich die Eigentümer übernehmen. Der Bezirksbeirat Hedelfingen verlangte deshalb, dass sich vor weiteren Überlegungen erst einmal die Stadt Stuttgart zu einer Mitfinanzierung ihres Vorhabens äußern soll.

Was spricht für und was gegen eine Flurneuordnung?

Abgesehen von der Stadt Stuttgart, die einige „Ökopunkte” sammeln könnte, erkennen die Weingärtner vom Steilwerk in Rohracker mögliche Vorteile. Die Genossenschaft wünsche sich bereits seit mehr als zehn Jahren einen Gras-Schotter-Feldweg zur besseren Bewirtschaftung der Weinberge „von oben”. Die Bearbeitung von unten sei sehr beschwerlich, erklärte Markus Wegst gegenüber WILIH. Der Vorstandsvorsitzende der Weingärtnergenossenschaft Rohracker („Steilwerk”) steht den Vorschlägen zur Flurneuordnung grundsätzlich positiv gegenüber. Denn es sei erklärtes Ziel der Rohracker Wengerter, den Weinbau und damit die Kulturlandschaft am Dürrbach langfristig zu sichern.

„Angeschoben” hätten die Weingärtner das Vorhaben aber nicht, stellt Wegst klar. Und die Genossenschaft habe auch nicht „mehr zu melden als andere”. Alle betroffenen Grundstückseigentümer müssten gemeinsam „beschließen, dass das Verfahren überhaupt gewünscht ist”, sagt Markus Wegst. Für ihn bedeute das: „Wenn alle das wollen, wird das Verfahren überhaupt erst angeordnet. Sonst eben nicht.”

Gänzlich gegen eine Flurneuordnung ist eine Initiative von Gartenbesitzern, die sich als „Retter:innen Grenzwandel und Biodiversität” sehen und mehrere hundert Unterschriften gegen das städtische Vorhaben gesammelt haben. Ein Vertreter der Initiative stellte die Bedenken am 21. März 2023 in der Sitzung des Hedelfinger Bezirksbeirates dar. Die Initiative vertritt folgende Standpunkte: Der historische Grenzwandel solle nicht zerstört werden, für eine ökologische Aufwertung des Gebiets sei eine Flurbereinigung das falsche Instrument, und statt „hinter dem Rücken der Betroffenen” Tatsachen zu schaffen, solle partizipativ vorgegangen werden.

Das Gebiet, in dem die Stadt jetzt nach Ausgleichsflächen suche, sei „gesund”. Viel mehr für Biodiversität tun könne man am Wangener Nordhang, meint die Initiative. Zudem sei der Grenzwandel „mit Steuergeldern vor einigen Jahren wiederbelebt” worden, verweisen die Neuordnungsgegner auf eine städtische Broschüre, in der die Bedeutung des historischen Weges für Natur und Erholungssuchende zum Ausdruck kommt (PDF: hier).

Wie geht es nach der Begehung weiter?

An der Wanderung am 29. April würden auch Bezirksbeiräte teilnehmen, berichtete Bezirksvorsteher Kai Freier im Gespräch mit WILIH. Geplant sei, anschließend die Erkenntnisse zusammenzufassen und Vorstellungen für das weitere Vorgehen zu skizzieren. Freier denkt an einen gemeinsamen Antrag, der nach Möglichkeit schon in der nächsten Sitzung, die am 16. Mai im Bürgersaal des Hedelfinger Bezirksrathauses stattfinden wird, auf die Tagesordnung kommen könnte. Dies als politisches Signal, wie es aus Sicht des Stadtbezirks weitergehen soll.


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