Samstag ist Badetag – Als Baden noch ein Luxus war

Lebendige Ortsgeschichte (Folge 30). Historisches aus und über Hedelfingen – unterhaltsam erklärt von Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer … Über Hedelfingen und Rohracker gibt es viel zu erzählen. Besonders gut und gerne tun dies der ehemalige Hedelfinger Bezirksvorsteher Hans-Peter Seiler und Hedelfingens Ortshistoriker Michael Wießmeyer. Seit Jahren begeistern die beiden Hedelfingen-Fans bei Vorträgen und Führungen ein stetig wachsendes Publikum mit ihren Geschichten über die Geschichte des vor gut hundert Jahren von Stuttgart eingemeindeten Neckarvororts. WILIH veröffentlicht hier eine Serie mit vielen interessanten Blicken auf die Historie Hedelfingens. In loser Folge wollen die Geschichten-über-Geschichte-Erzähler Seiler und Wießmeyer an dieser Stelle Lust auf Hedelfingen machen.

Thema dieser Folge: Samstag ist Badetag

Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer beim Stöbern in historischen Fotos
Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer beim Stöbern in historischen Dokumenten

Sie werden sich fragen, was das für eine Überschrift, was das für eine unmögliche Behauptung ist. Sie duschen schließlich täglich, denn Sie wollen täglich sauber Ihren Mitmenschen begegnen. Das mag zwar heute so sein, denn fast alle Wohnungen verfügen über eine Dusche oder ein Bad. Sie werden sich aber vielleicht daran erinnern, dass dies nicht immer so war. Und erst vor kurzem, als die Energie in Deutschland knapp zu werden drohte, empfahl der baden-württembergische Ministerpräsident, nicht jeden Tag zu duschen, sondern zwischendurch sich einfach mal mit dem Waschlappen frisch zu machen. Die Aufregung über diese Aussage war groß. 

Gehen wir doch einfach einmal ca. 100 Jahre zurück. In der Gemeinderatssitzung der selbstständigen Gemeinde Hedelfingen am 30.5.1921 berichtet Gemeinderat Bader über die Begehung des Neckarufers zum Zwecke der Anweisung von Badeplätzen. Der Gemeinderat beschließt, den seitherigen Kinderbadeplatz zu belassen und entsprechende Sicherheitsvorkehrungen anzubringen; für Schwimmer wird ein Platz am oberen Einöd bestimmt. Sie wundern sich, von was da gesprochen wurde? Von Badeplätzen im Neckar! Der floss damals noch nahe bei der heutigen Deponie Einöd vorbei.

Badeanstalt Hedelfingen 1921
Badeanstalt an der damaligen Badstraße um 1921

Nun ja, das war mit dem Badetag eher nicht gemeint, sondern das Reinigungsbad zu Hause bzw. in sogenannten Volksbädern oder örtlichen Badehäusern. Ein solches gab es auch in Hedelfingen an der Badstraße, der heutigen Brauhofstraße. Dort befand sich die Badeanstalt Ensslin bis etwa ins Jahr 1922. Dorthin gingen die Menschen, die in ihren Häusern kein Badezimmer besaßen. Und dies war in der Regel einmal in der Woche. Beliebt war der Samstag als Badetag.

Bei der Bürgerversammlung in Hedelfingen am 12.11.1922 wurde beklagt, dass für Volksbäder in der Stadt bedeutende Summen bereitgestellt werden. Für die Verbesserung der hiesigen Badverhältnisse geschehe hingegen nicht das Geringste. Im Gegenteil wurde die hiesige Privatbadeanstalt durch zu hohen Wasserzins gezwungen, ihren Betrieb einzustellen, so dass hier also keine Badegelegenheit mehr bestand. Statt eine Unterstützung durch kostenloses Wasser und billige Brennstoffe zu gewähren, wurde in der Badeanstalt die vorhandene Niederdruckleitung herausgerissen. Das alles steht in direktem Widerspruch zum Eingemeindungsvertrag. Sie erinnern sich? Hedelfingen wurde am 1.4.1922 zu Stuttgart eingemeindet. 

Die Stadt Stuttgart hat in späterer Zeit eine Bezirksbadeanstalt an der Heumadener Straße 18 betrieben, gleich neben Elektro Sauereisen. Es war ein sogenanntes Wannen- und Brausebad. Ein ca. 20-minütiger Aufenthalt kostete etwa 3 DM. Die Badefrau wies die Wartenden einer Badekabine zu. Die Badewanne war von ihr frisch gescheuert bzw. gereinigt worden, und das heiße Badewasser floss aus einem dicken Rohr in die Wanne. Manchmal gönnte man sich noch eine Brausetablette mit Fichtennadelgeschmack um 20 Pfennig, und das Wasser wurde grün und roch nach Tannenwald. Jetzt aber flott eingeseift und hurtig gebadet, denn 20 Minuten sind rasch um – und andere warten schon. Dieses Badevergnügen gönnte man sich einmal in der Woche. 

Blick von der Rohrackerstraße zur Brauhofstraße
Blick von der Rohrackerstraße zur Brauhofstraße (Oktober 2017)

Mit steigendem Wohlstand wurden nach und nach in die Wohnungen Bäder eingebaut. Anfangs war es aber nicht so wie heute, dass man einfach den Wasserhahn aufdreht und schon kommt warmes Wasser aus der Dusche. Nein, anfangs gab es einen mit Holz zu beheizenden Badeofen. Hatte man die Absicht, zu duschen oder zu baden, musste man zuerst ein Feuer im Badeofen entzünden und dann kräftig heizen, immer wieder Holz nachlegen – und wenn es im Badezimmer mollig warm war und das Wasser wohltemperiert, konnten bei sparsamer Benutzung zwei Menschen duschen oder baden. Natürlich konnte man weiterheizen, und nach einiger Zeit waren weitere Familienmitglieder an der Reihe. Sie können sicher nachvollziehen, dass man diese Prozedur nicht jeden Tag gemacht hat, sondern meist nur einmal in der Woche – samstags ist Badetag!

In manchen Häusern wurde nicht in jeder Wohnung ein Badezimmer eingebaut. Meist im Untergeschoss des Hauses hatte man für alle Bewohner des Hauses ein Gemeinschaftsbad eingerichtet. Das warme Wasser wurde mittels Gasdurchlauferhitzer zubereitet. Aber wer bezahlte das Gas? Dafür war vor dem Gaszähler ein Apparat angebracht, in den man sogenannte Gasmünzen eingeworfen hat, die man beim Hausbesitzer kaufte. Eine Gasmünze schaltete für ein paar Minuten die Gaszufuhr frei, der Gasdurchlauferhitzer erwärmte das Wasser – und schon konnte man duschen oder baden. Wer sich hierfür Zeit lassen wollte, hat gleich ein paar Gasmünzen eingeworfen. Nach der Benutzung des Gemeinschaftsbades musste man die Wanne und den Raum putzen, damit der Nächste ein sauberes Bad vorfand.

Mit der Umstellung auf Zentralheizung und moderne Energieversorgung ist nun das tägliche Duschen oder Baden zur Gewohnheit geworden.

Das Foto oben zeigt die Hedelfinger Badeanstalt an der heutigen Brauhofstraße.

WILIH dankt Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer für diese Geschichte. Die historischen Fotos und Dokumente stammen aus dem Fundus des Alten Hauses Hedelfingen.

Nächstes Thema dieser Serie: Gegessen wird daheim


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