Die Sage von der Falschen Klinge in Rohracker
Lebendige Ortsgeschichte (Folge 29). Historisches aus und über Hedelfingen – unterhaltsam erklärt von Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer … Über Hedelfingen und Rohracker gibt es viel zu erzählen. Besonders gut und gerne tun dies der ehemalige Hedelfinger Bezirksvorsteher Hans-Peter Seiler und Hedelfingens Ortshistoriker Michael Wießmeyer. Seit Jahren begeistern die beiden Hedelfingen-Fans bei Vorträgen und Führungen ein stetig wachsendes Publikum mit ihren Geschichten über die Geschichte des vor gut hundert Jahren von Stuttgart eingemeindeten Neckarvororts. WILIH veröffentlicht hier eine Serie mit vielen interessanten Blicken auf die Historie Hedelfingens. In loser Folge wollen die Geschichten-über-Geschichte-Erzähler Seiler und Wießmeyer an dieser Stelle Lust auf Hedelfingen machen.
Thema dieser Folge: Die Sage von der Falschen Klinge in Rohracker

Heute wollen wir eine Sage, die in Stuttgart-Rohracker erzählt wird, zum Thema machen. Die heutige Realität fügen wir dann noch hinzu.
Rund einen Kilometer ist die Falsche Klinge (Foto oben) lang, die östlich des Fernsehturms, jenseits der L 1016 talwärts verläuft. Der Tiefenbach fließt durch sie. Nach dem Waldgebiet fließt er durch Rohracker und vereint sich mit dem Dürrbach, der wiederum in den Neckar, nahe der Otto-Hirsch-Brücken, mündet. Viele Sagen und Geschichten ringen sich um die Falsche Klinge. Hauptsächlich sind es Grusel- und Geistergeschichten. Mörder und Raubritter spielen darin eine Rolle. Die bekannteste Geschichte wurde im Buch „Württemberg wie es war und ist“ von 1854 beschrieben. Kaiser Otto der Erste, Herrscher von 936 bis 973, und sein Sohn Luitolf, Herzog von Schwaben, bekriegten sich unerbittlich. Luitolf hatte sich gegen seinen Vater, den Kaiser, erhoben.
Luitolf hatte im heutigen Stuttgart ein Pferdegestüt angelegt. Der Herzog von Schwaben, Luitolf, hatte Angst um seine edlen Pferde. Sie waren sehr gefährdet und sollten in Sicherheit gebracht werden. Kuno, der Aufseher über die Pferde und Knechte, beriet sich mit den Knechten, und sie entschlossen sich, die Pferde in eine Schlucht zu treiben. Hohe, steile Erdwälle verbargen die Wiesen und Bächlein. Es war ein abgelegener Ort, an dem die edlen Rösser des Herzoges untergebracht wurden.

Doch lassen wir Wilhelm Ruckhaberle, den Autor des Buches „Rohracker und Frauenkopf damals und heute“, die Geschichte, die er 1973 veröffentlichte, erzählen:
„Ein Gewitter stand am Himmel, Donner rollte, und zackige Blitze zuckten nach allen Richtungen hin aus dem Gewölke. Die Dunkelheit nahm zu. Bald brach das Gewitter mit der größten Heftigkeit los, Blitz folgte auf Blitz, und der Donner hallte in der engen Bergschlucht fürchterlich wider. Entsetzt rissen sich die Pferde los. Die einen suchten in wilder Flucht über den Zaun am Ende der Schlucht zu setzen, während andere angestrengte, aber vergebliche Versuche machten, die steilen Wände der Sandsteinfelsen zu ersteigen. In kopflosem Schrecken rannten die Knechte umher und versuchten, die Ordnung wieder herzustellen. Es trat eine allgemeine Verwirrung ein: Der Donner rollte, die Menschen schrien, die Pferde wieherten, und Kuno kniete allein betend im Blockhaus. Auf einmal entluden sich die verderben-schwangeren Wolken in ungeheuren Regengüssen. Von allen Seiten strömten gewaltige Wasserfluten in die Schlucht, schäumend und brausend und große Steine mit sich führend. Weder der Zaun noch das Blockhaus widerstanden der Gewalt des zügellosen Elements. Die Pferdeknechte dachten nur noch an ihre eigene Rettung; den jungen, kraftvollen gelang sie auch, aber der größte Teil kam in den tobenden Fluten um. Den Leichnam des alten Kuno fand man nachher zerschmettert unter den Trümmern des Blockhauses begraben, neben ihm seinen toten Sohn Hugo, welcher den Vater nicht hatte verlassen wollen, nachdem er denselben vergebens zu retten versucht hatte. So fanden die Bewohner des Wiesentals, da, wo sie Rettung gesucht hatten, den Tod. Seitdem führt die trügerische Bergschlucht den Namen „Falsche Klinge“. So die Sage.”

Doch die „Falsche Klinge“ blieb auch in späteren Jahren ein gruseliger Ort. So erzählte man sich unter den Rohracker Bürgern, dass die Raubritter der Burg Rohreck Menschen überfielen, ausraubten und sie ermordeten. Sie verscharrten sie in der Falschen Klinge. Als Buße mussten die Raubritter nach ihrem Tode an den Ort ihrer Untaten zurückkehren und nachts umherirren und fanden keine Ruhe in ihren Grab.
Um 1500 wurde die Falsche Klinge als Friedhof benutzt. Mörder, Selbstmörder und die sogenannten Unehrenhaften aus Stuttgart wurden hier verscharrt. Auch diese Seelen wanderten, dem Aberglauben nach, durch die Falsche Klinge und verängstigten die Bewohner.
Diesen Geschichten wurde geglaubt, denn man war abergläubisch. Außerdem gibt es nichts Schöneres, als beim Durchlaufen der Falschen Klinge, seinen Mitgehenden schaurige Geschichten zu erzählen.
Die Falsche Klinge war aber auch für viele Naturkatastrophen jahrhundertelang verantwortlich. Nachweislich entstand 1914 eine große Flut, die den Ort Rohracker unter Wasser setzte. An diese große Überschwemmung im letzten Jahrhundert erinnert eine Hochwassertafel an der Kelter, die den damaligen Wasserstand anzeigt.
Auch Hedelfingen war davon stark betroffen, denn das reißende Wasser des Dürrbachs zerstörte eine Straßenbrücke auf Höhe des heutigen Penny-Marktes an der Rohrackerstraße.

Heute ist das Ganze entschärft. Der Tiefenbach, der durch die Falsche Klinge fließt, wurde durch mehrere Regenrückhaltebecken im Wald gebändigt. Oberhalb der Grünanlage Weinklinge beginnt die Verdohlung, die das Wasser aufnimmt und unterirdisch an der Tiefenbachschule vorbeileitet. Der Kanal liegt auch noch hinter der Alten Schule unter dem Wilhelm-Strasser-Weg, unterquert die Sillenbucher Straße und mündet in den offenen, aber kanalisierten Bußbach. Bachabwärts auf Höhe der früheren Dürrbachklause kommen noch die Wasser des Dürrbaches hinzu und fließen in Richtung Hedelfingen, wo sie den Kreisverkehr unterqueren. Dort mündet auch der Katzenbach in den Dürrbach. Die Wasser streben sodann unter der Rohrackerstraße und dem Gebäude von Burger King dem Neckar zu.
Nur noch selten treten die Bäche über die Ufer. Allerdings sind bei Unwettern ungeheure Wassermassen unterwegs. Wenn diese Schnittgut, das zu nahe an den Ufern gelagert war, mitreißen und die Einläufe der großen Kanäle verstopfen, dann ist die Gefahr von Überschwemmungen vorhanden. Dann wird die Rohrackerstraße zum wilden Bach, und der sucht sich seinen Weg talabwärts in Richtung Wangen und auch in manchen Hauskeller!
So ist die Falsche Klinge und sind die Bäche in Rohracker und Hedelfingen nicht zu unterschätzen.
WILIH dankt Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer für diese Geschichte. Die historischen Fotos und Dokumente stammen aus dem Fundus des Alten Hauses Hedelfingen.
Nächstes Thema dieser Serie: Samstag ist Badetag
Den wöchentlichen WILIH-Newsletter kostenlos abonnieren und immer informiert sein! Einfach hier klicken und gleich anmelden, dann bekommen Sie einmal wöchentlich die Themen der Woche frei Haus! Abbestellung jederzeit möglich!