Gegessen wird daheim – Wirtschaften in Hedelfingen

Lebendige Ortsgeschichte (Folge 31). Historisches aus und über Hedelfingen – unterhaltsam erklärt von Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer … Über Hedelfingen und Rohracker gibt es viel zu erzählen. Besonders gut und gerne tun dies der ehemalige Hedelfinger Bezirksvorsteher Hans-Peter Seiler und Hedelfingens Ortshistoriker Michael Wießmeyer. Seit Jahren begeistern die beiden Hedelfingen-Fans bei Vorträgen und Führungen ein stetig wachsendes Publikum mit ihren Geschichten über die Geschichte des vor gut hundert Jahren von Stuttgart eingemeindeten Neckarvororts. WILIH veröffentlicht hier eine Serie mit vielen interessanten Blicken auf die Historie Hedelfingens. In loser Folge wollen die Geschichten-über-Geschichte-Erzähler Seiler und Wießmeyer an dieser Stelle Lust auf Hedelfingen machen.

Thema dieser Folge: Gegessen wird daheim – Wofür die Hedelfinger so viele Wirtschaften brauchten (Folge 1)

Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer beim Stöbern in historischen Fotos
Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer beim Stöbern in historischen Dokumenten

In Hedelfingen gab es um die Zeit nach 1900 sehr viele Wirtschaften. Nach unserer vorläufigen Zählung 27 – ohne Rohracker!? Obwohl der Ort zu dieser Zeit nur 3.000 Einwohner hatte, gab es in manchen Straßen ein Gasthaus neben dem anderen.

Gehen wir einmal in Gedanken vom Hedelfinger Platz, der damals Charlottenplatz hieß, die Amstetter Straße entlang, die frühere Esslinger Straße, dann stoßen wir gleich auf das erste Haus auf der rechten Straßenseite, in dem das Café Wyrich seinen Sitz hatte. Ein edles Ambiente empfing die Gäste, fast im österreichischen Kaffeehausstil. Heute ist dort das Tabasco.

Gegenüber auf der linken Straßenseite befand sich das Gasthaus Löwen mit einem herrlichen Biergarten. Die damals jungen Kastanienbäume spendeten im Sommer genug Schatten zum gemütlichen Sitzen. Auch Fremdenzimmer gab es im ersten Obergeschoss des Löwen. Die heute meist großgewachsenen Menschen hätten dort keine Freude gehabt; denn die Raumhöhe kann man eher als niedrig bezeichnen, und wir hätten heutzutage ständig den Kopf einziehen müssen. Letztendlich war es richtig, ein neues Haus auf diesem Grundstück zu bauen, das heute neben Wohnungen das „Café Deinz“ beherbergt.

Der Löwen um 1900

An der nächsten Straßenkreuzung, der heutigen Friedrichshafener Straße mit dem Gebäude der Volksbank am Württemberg wären wir zur damaligen Zeit auf das mächtige Gasthaus Ochsen gestoßen. Eine Wirtschaft mit einem großen Saal, in dem zum Beispiel das Festbankett nach der Rathauseinweihung 1910 beziehungsweise Einweihung der Straßenbahnlinie nach Stuttgart stattgefunden hat. Zum Gasthaus gehörten noch ein Lebensmittelladen und eine Gartenkegelbahn. Auch Pferde konnten in den Stallungen untergestellt werden. Der Lebensmittelladen war kein Selbstbedienungsmarkt, wie wir ihn heute kennen. Es war ein kleiner Raum mit Bedienung an der Theke. Die Frau dahinter erfüllte die Wünsche der Kunden, indem sie die gewünschte Ware aus den Regalen holte und auf den Tresen stellte. Und die Kegelbahn war nicht vollautomatisch, sondern hatte einen Kegelbub, der die umgeworfenen Kegel wegnahm und nach dem Spiel auf ihren Platz zurückstellte. Berühmte Leute verkehrten im Ochsen, so zum Beispiel der Mercedes-Rennfahrer Salzer, der sich dort stärkte.

Gasthaus zum Rebstock und Gasthaus zum König Karl in Hedelfingen um 1910
Rebstock und König Karl um 1910

Gehen wir gedanklich die Esslinger Straße weiter entlang, dann stoßen wir bald nach dem Pfarrhaus auf der rechten Straßenseite auf zwei Wirtschaften nebeneinander. Im zusammengebauten Gebäude der heutigen LVM-Versicherung war das Gasthaus zum König Karl, Besitzer E. Zimmermann, später Adolf Schray, und das Gasthaus zum Rebstock, Besitzer R. Zimmermann, war daneben untergebracht. Ursprünglich gab es nur das Gasthaus zum König Karl. Durch Erbstreitereien zog man eine Wand durch die Wirtschaft – so entstand das Gasthaus zum Rebstock.

Gasthaus zum Hirsch in Hedelfingen um 1910
Der Hirsch um 1910

Nur ein Haus weiter an der Kreuzung Ruiter Straße gab es nach dem zweiten Weltkrieg den Kreuzwirt, später auch Schnelle genannt (heute Kochwelten, Kultweine, Kunststücke), und schräg gegenüber das Gasthaus Hirsch. Fotos und Zeichnungen beweisen, dass das Haus immer wieder erweitert wurde. Der Saal im ersten Obergeschoss ist legendär, denn Vereinsversammlungen und Obstausstellungen fanden dort statt. Hedelfingen war bekannt für sein Tafelobst.

Wir biegen nun rechts ab und gehen die Ruiter Straße entlang. Nach wenigen Schritten empfängt uns rechter Hand ein stattliches Gebäude mit einem Posthorn über dem Eingang. Posthorn? Nein, es ist ein Waldhorn und kündet von dem früheren Gasthaus an dieser Stelle. Es hatte einen riesigen Saalbau. Viele Hochzeiten wurden dort gefeiert. Die Vereine veranstalteten dort öfters ihre Versammlungen. Es wurden auch Theaterstücke aufgeführt. In jüngerer Zeit war dort lange die Sportschule Taekwondo Baygün ansässig.

Nur wenige Meter weiter kreuzt die Gärtnerstraße die Ruiter Straße. Das Eckgebäude ist heute ein Wohn- und Geschäftshaus und beherbergte früher das Gasthaus zum Lamm, Besitzer Wilhelm Bücheler, Ruiter Straße 8, später Metzgerei Kurz und heute Sonja Lenz mit ihren Verkaufsräumen. Auf der gegenüber liegenden Seite befand sich in dem Eckgebäude Gartenstraße 20 das Gasthaus Adler der Familie Bauer, heute ein schmuckes Wohnhaus. Nur wenige Meter weiter lud das Probierstüble von Getränke Schmidmeister* zu einer Kostprobe ein.

Man wird es kaum glauben, wieder ein paar Häuser weiter bergwärts, an der Ruiter Straße 21, ist die Wirtschaft und Bäckerei zur Linde von Gottlob Schray. Und wiederum nur ein paar Schritte weiter kommen wir zur Wirtschaft zur Filderhöhe an der Filderstraße, heute Kreuzhaldenstraße 1. Ganz oben im Wald stoßen wir auf den von der Hedelfinger Gemeinde angelegten Sportplatz mit einer Vereinsgaststätte. Es war die Heimat der SKG Hedelfingen. Dort befindet sich heute die Golfübungsanlage der SportKultur Stuttgart.

Wir gehen nun zurück zur Gärtnerstraße, der früheren Gartenstraße, und folgen dem Straßenverlauf in Richtung Heumadener Straße, der damaligen Mittelstraße. Auf halber Strecke können wir wieder einkehren – und zwar im Gasthaus Rose. Diese beherbergte bis in die 1970er Jahre die Griechische Bank.

Kaum sind wir an der Einmündung Gartenstraße an der Mittelstraße angekommen, müssen wir uns entscheiden: Gehen wir links in das Gasthaus und Metzgerei beim Christian Claar oder rechts ins Gasthaus Krone? Das heute gegenüber der Krone befindliche Knausbirastüble gab es damals noch nicht. 

Wenn wir schon mal auf Höhe der Krone – Mittelstraße (Heumadener Straße) 14 – sind, wären es nur noch wenige Schritte zum Kühlen Grund, Mittelstraße 9. Die Weinstube im Alten Haus gab es damals auch noch nicht.

Wir können nicht überall einkehren. Deshalb marschieren wir weiter in Richtung Kelter. Auf diesem Stück gibt es kein Gasthaus. Müssen wir verdursten? Nein! An der Kelter biegen wir rechts ab und gehen die Krämerstraße entlang, die heute auch Heumadener Straße heißt. Schon werden wir an der Ecke Brauhofstraße fündig. Endlich wieder ein Gasthaus mit Metzgerei: Zur goldenen Traube mit dem Wirt Gottlieb Lautenschlager! Ein wirklich ansehnliches Gebäude, in dem sich heute Elektro Mader befindet. Würden wir nun die Brauhofstraße entlang gehen, kämen wir an der Rohrackerstraße zur Wein- und Probierstube Kurt Ebert, der heutigen „Magic Lounge“.

Von der Einkehr in die vielen Wirtschaften und Gasthäuser sind wir müde geworden und lassen den Tag in der Traube ausklingen. Somit endet die Folge 1 unserer Geschichte. Die Folge 2 wird hier beginnen, und wir werden in Richtung Rohracker gehen und von den weiteren Einkehrmöglichkeiten berichten. Auch sind wir noch eine Antwort schuldig auf die Aussage „Gegessen wird daheim“.

  • Von den Autoren korrigiert (19.1.2025)

Das Foto oben zeigt das Gasthaus zum Ochsen um das Jahr 1910.

WILIH dankt Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer für diese Geschichte. Die historischen Fotos und Dokumente stammen aus dem Fundus des Alten Hauses Hedelfingen.

Nächstes Thema dieser Serie: Gegessen wird daheim (Folge 2)


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