LKW-Durchfahrtsverbot: Keine Einigung vor Gericht

Stuttgart-Hedelfingen … Wie lässt sich verhindern, dass täglich der Schwerlastverkehr durch Hedelfingen und über die Filderauffahrt rollt? Das war der eigentliche Kern einer mündlichen Verhandlung, die heute Vormittag (18.2.2021) am Stuttgarter Landgericht stattfand. Zu einer Einigung kam es nicht. Bleibt es dabei, soll am 11. März das Urteil verkündet werden.

Wie bereits vor dem Amtsgericht in Bad Cannstatt ging es zunächst um die Frage, ob einzelne Bürger oder ein Verein – hier der Waldheimverein Hedelfingen – Verstöße gegen allgemeingültige Regeln – in diesem Falle Verkehrsregeln – angreifen dürfen. Die Kläger bejahen die Frage, weil sie im vorliegenden Fall die Gesundheit insbesondere von rund hundert Kindergartenkindern gefährdet sehen, die in ihrer Tagesstätte am Hedelfinger Waldheim durch LKW-Abgase belastet werden. Die beklagte Spedition stellt sich auf den Standpunkt, dass nicht die Kläger die Einhaltung von Verkehrsregeln verlangen dürfen, sondern dies Sache von Stadt und Polizei sei. Dementsprechend sei die Hedelfinger LKW-Problematik vor dem Verwaltungsgericht zu klären und nicht im Zivilverfahren gegen einen ausgesuchten Spediteur.

Dieses Dilemma sieht auch das Landgericht. Allerdings betrachteten die drei Richterinnen am 18. Februar diese Frage differenzierter als die Amtsrichterin aus Cannstatt; immer wieder war von einer „schwierigen” Abwägung die Rede. Detailliert ließen sie sich von Paul Wurm schildern, was er und der Waldheimverein alles unternommen haben, um die Einhaltung des Hedelfinger LKW-Durchfahrtsverbots außergerichtlich zu sichern. Wurm beschrieb seine Ochsentour durch Ordnungsamt, Bußgeldstelle und Polizei. Im konkreten Falle von drei nachgewiesenen verbotenen Deisser-Durchfahrten sei das Verfahren eingestellt worden, berichtete der Vorsitzende des Waldheimvereins. Danach seien ihm weitere Anzeigen von der Bußgeldstelle untersagt worden. Dass danach der Weg vors Zivilgericht gewählt wurde, sieht das Landgericht zwar ähnlich kriritsch wie die Vorinstanz, abgewiesen wurde dies in der Verhandlung aber nicht.

Breiten Raum nahm auch die Frage ein, was als Lieferverkehr zu qualifizieren ist. Ein zusätzliches Durchfahrtsverbotsschild an den Otto-Hirsch-Brücken in Hedelfingen (Verkehrszeichen 253) nimmt nämlich Lieferverkehr aus. Die fragliche Stelle liegt bereits innerhalb der LKW-Durchfahrtsverbotszone und bezweckt nach Kläger-Ansicht einen besonderen Schutz Hedelfingens. Unstreitig ist, dass LKW im Stuttgarter Hafen Ladung aufnehmen dürfen. Unstreitig ist auch, dass dort aufgenommene Ladung innerhalb der LKW-Durchfahrtsverbotszone ausgeliefert werden darf. Aber kann vielleicht auch eine Lieferung vom Hafengebiet aus der LKW-Durchfahrtsverbotszone heraus als Lieferverkehr qualifiziert werden? Diese Frage blieb offen.

Der Waldheimverein Hedelfingen und Paul Wurm hatten die Spedition Deisser auf Unterlassung verbotswidriger Durchfahrten nach erfolgloser Abmahnung verklagt. Nachdem deren Klage vom Amtsgericht Bad Cannstatt abgewiesen worden war, ging es in der nächsten Instanz jetzt neben Rechtsfragen auch um ein Entgegenkommen des angegriffenen Spediteurs. Der Anwalt von Deisser lehnte dies im Gerichtstermin ab, will aber unabhängig vom Verfahren mit seinem Mandanten über Möglichkeiten eines Angebots zur Güte sprechen. Eugen Deisser, der Geschäftsführer der Deisser GmbH, hielt sich vor Gericht bedeckt. Schon vorgerichtlich hatte Deisser auf zahlreiche Hinweise des Hedelfinger Waldheimvereins auf die nach dessen Ansicht verbotene LKW-Durchfahrt nicht reagiert. Bis heute bleibt er den Nachweis schuldig, dass seine Fahrer die umstrittene Strecke zwischen Hedelfingen und Heumaden zulässigerweise befahren. Dies wäre der einfachste Weg gewesen, eine gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden.

Verklagt hatten Wurm selbst – als betroffener Anwohner – und der Waldheimverein die Spedition Deisser, weil diese mit täglich bis zu 40 Fahrten ihrer gelben Container-LKW durch Hedelfingen im Stadtbezirk am stärksten auffielen. Deissers Anwalt bestreitet nicht nur generell einen Anspruch von Anliegern auf Unterlassung, sondern er sieht in Eugen Deisser auch den falschen Ansprechpartner. Der Geschäftsführer der gleichnamigen Spedition sitze schließlich nicht selbst in den LKW. Wenn überhaupt, seien seine Fahrer zu verklagen.

Eugen Deisser selbst berichtete auf Nachfrage des Gerichts, dass er seine Fahrer „gebeten” habe, die Filderauffahrt zu meiden. Kontrollieren könne er zwar nicht, ob seiner „Bitte” immer Folge geleistet werde. Jeder Fahrer wähle schließlich seine Route selber, Fahrwege würden nicht angewiesen. Er sei überzeugt, dass sich seine Fahrer an die Verkehrsregeln hielten, meinte Deisser.

Dieser Sichtweise folgten die Richterinnen am Landgericht nicht. Entschieden wurde Deisser an seine Verantwortung als GmbH-Geschäftsführer erinnert. „Es gibt auch Tun durch Unterlassen”, wurde der Spediteur auf ein mögliches Organisationsverschulden hingewiesen. Zur Beachtung von Verkehrsregeln seien geeignete organisatorische Maßnahmen sowohl notwendig als auch möglich. Ein Wink mit dem Zaunpfahl, doch noch einen Vorschlag zur Güte zu machen?

Abschließend war dem Gericht wichtig, für den Fall einer Verurteilung Deissers nicht die mit der Klage für jeden Fall einer Zuwiderhandlung geforderten 5.000 Euro „Vertragsstrafe” zu verhängen, sondern ein „Ordnungsgeld”. Das bekommt die Staatskasse. Seine Höhe bemisst sich nach dem jeweiligen Fall und Zweck. Es soll abschreckend wirken. Sollte eine gütliche Einigung nun nicht gelingen, wäre ein „mildes” Urteil sowie eine deutliche Empfehlung an den Waldheimverein, zusätzlich zum Verwaltungsgericht zu gehen, vielleicht ein Ausweg aus dem Dilemma.

Eine erneute Abweisung der Klage würde zwar den Gang zum Oberlandesgericht nicht ausschließen. Dort ginge es dann aber noch mehr als bereits jetzt  um Rechtsfragen. Den Hedelfinger Waldheimkindern wäre damit nicht gedient. Und: Angesichts der fehlenden Bereitschaft der Ordnungshüter zu Kontrollen und Sanktionen hätten Deisser und andere Spediteure weiterhin faktisch einen „Freibrief” für ihre Fahrten durch Hedelfingen.

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