Monopoly am Neckar – Wie Hedelfingen zu Stuttgart kam

Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer beim Stöbern in historischen Fotos
Hans-Peter Seiler (links) und Michael Wießmeyer machen Hedelfingens Geschichte erlebbar

Lebendige Ortsgeschichte (Folge 2). Historisches aus und über Hedelfingen – unterhaltsam erklärt von Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer, [post_published] … Über Hedelfingen gibt es viel zu erzählen. Besonders gut und gerne tun dies der ehemalige Hedelfinger Bezirksvorsteher Hans-Peter Seiler und Hedelfingens Ortshistoriker Michael Wießmeyer. Seit Jahren begeistern die beiden Hedelfingen-Fans bei Vorträgen und Führungen ein stetig wachsendes Publikum mit ihren Geschichten über die Geschichte des vor hundert Jahren von Stuttgart eingemeindeten Neckarvororts. WILIH veröffentlicht hier eine Serie mit vielen interessanten Blicken auf die Historie Hedelfingens. In loser Folge wollen die Geschichten-über-Geschichte-Erzähler Seiler und Wießmeyer an dieser Stelle Lust auf Hedelfingen machen.

Heute mit einem Beitrag über das Werben der Städte Stuttgart und Esslingen, das bekanntlich zugunsten der Landeshauptstadt entschieden wurde. Seit hundert Jahren ist Hedelfingen nämlich ein Stadtteil von Stuttgart.

Monopoly am Neckar – Wie Hedelfingen zu Stuttgart kam

Wir schreiben den 5. Dezember 1918: Der Oberbürgermeister von Stuttgart, Karl Lautenschlager, gibt dem Gemeindekollegium Stuttgart bekannt, dass der Schultheiß von Hedelfingen sein Amt niedergelegt hat. Er berichtet: „Da Stuttgart schon seit geraumer Zeit überzeugt ist, dass eine Ausdehnung Stuttgarts nur am Neckar aufwärts möglich ist, habe er schon früher Veranlassung genommen, mit Schultheiß Wendel darüber Rücksprache zu nehmen, wie die Stadt Stuttgart auf dem Gebiet der Gemeinde Hedelfingen Areal erwerben könne, seien es einzelne Grundstücke oder größere, komplexe.“

Postkartenmotiv Rathaus Hedelfingen
Das Hedelfinger Rathaus gibt es noch heute

Schultheiß Wendel hatte Oberbürgermeister Lautenschlager zugesagt, im Stuttgarter Sinn tätig zu sein. Es ist jedoch bei dem Versprechen geblieben. Inzwischen war Stuttgart gezwungen, sich nach weiterem Industriegelände für die Stadt umzusehen. Nun haben sich allerdings durch die Revolution die Verhältnisse wesentlich geändert. Die Industrie wird sich voraussichtlich nicht ausdehnen, sondern wird wahrscheinlich in weitem Maße zu Grunde gehen.

„Nichts desto weniger müssen wir dafür sorgen, dass die Gelegenheit, durch die Eingemeindung von Hedelfingen in den Besitz größeren Areals für die Industrie zu gelangen, nicht verpasst wird. Wenn man zugreift, muss man meines Erachtens bald zugreifen und zwar schon auf 1. April 1919, denn die Hedelfinger können nicht lange auf einen Ortsvorsteher verzichten. Ich habe am 22. November nach Vereinbarung mit dem Stellvertreter des Ortsvorstehers, Aktuar Fischer, einer Sitzung der Gemeindekollegien von Hedelfingen beigewohnt und dort in längerem Vortrag und in eingehender Besprechung der Verhältnisse eine Klärung der Meinungen herbeigeführt. Dabei hat sich gezeigt, dass bei allen politischen Parteien die Bereitwilligkeit besteht, die Eingemeindungsfrage aufzuholen, und dass der Schritt, den Stuttgart unternimmt, begrüßt wird. Die Gemeindekollegien waren zwar über mein Kommen etwas überrascht und haben gemeint, es stecke etwas Besonderes dahinter. Es wurde auch der Meinung Ausdruck gegeben, die Eingemeindung hätte schon im Jahre 1906 betrieben werden sollen. Ich habe darauf erwidert, Stuttgart habe damals noch genug an der Eingemeindung von Cannstatt usw. gehabt.“ Soweit sei aus dem Protokoll der damaligen Zeit zitiert.

Man muss darauf hinweisen, dass die Zeit nach dem I. Weltkrieg schwierig war und dass Hedelfingen zum Oberamt Cannstatt gehörte. Scheidet Hedelfingen beim Oberamt (heute würde man Landkreis sagen) aus, dann ist auch das Oberamt in seinem Bestand gefährdet.

Protokollvermerk zur Eingemeindung von Hedelfingen zur Zeit von Oberbürgermeister Lautenschlager
Der Protokollvermerk zur Eingemeindung von Hedelfingen aus der Amtszeit von Stuttgarts Oberbürgermeister Karl Lautenschlager

Festzustellen ist, dass sich um das attraktive Hedelfingen die Freie Reichsstadt Esslingen und die Stadt Stuttgart bemühten. Die Zeit schien günstig. Die Gemeinde Hedelfingen hat attraktive Grundstücke im Neckartal in ihrem Besitz. Esslingen könnte damit sein Gebiet um Mettingen und im Brühl prima ergänzen. Stuttgart könnte die Grundstücke gut für den geplanten Neckarkanal und den Neckarhafen brauchen.

Die im damaligen Flurstücksplan gelb markierten Grundstücke sind im Besitz der Gemeinde Hedelfingen, und diese Grundstücke entlang des Neckars weckten Begehrlichkeiten. Der mit den Verhandlungen von Stuttgart beauftragte Rechtsrat Kopp und Oberbürgermeister Lautenschlager verhandelten mit dem Amtsverweser Walser von Hedelfingen. Auch der Oberbürgermeister von Esslingen trat als Interessent auf. Beide Oberbürgermeister verhandelten sogar auch unter vier Augen. Letztendlich wird die Tendenz der Hedelfinger Bevölkerung erkannt, dass sie lieber zu Stuttgart gehen wollen als nach Esslingen.

Das Ministerium des Innern hat die Stadt Stuttgart nachdrücklich aufgefordert, Botnang und Kaltental mit einzugemeinden, sonst würde es dem Vertrag von Hedelfingen und Obertürkheim nicht zustimmen. Dieser Zwang verzögerte das Verfahren bis zum 1.4.1922.

Das Beitragsfoto oben zeigt eine Postkarte mit einer Ansicht von Hedelfingen um das Jahr 1900.

WILIH dankt Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer für diese Geschichte. Die historischen Fotos und Dokumente stammen aus dem Fundus des Alten Hauses Hedelfingen.

Nächstes Thema dieser Serie: Riesenkirsche und Knausbira – Für welche „Früchtchen” Hedelfingen bekannt war und ist

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