Wird in Hedelfingen Rechtsgeschichte geschrieben?

Stuttgart-Hedelfingen … Der Rechtsstreit des Waldheimvereins Hedelfingen und seines Vorsitzenden Paul Wurm gegen die Stuttgarter Spedition Deisser fand am 22. März eine Fortsetzung vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe (Foto oben: BGH/Joe Miletzki). Dabei ging es zwar nicht um die Frage, welche LKW durch Hedelfingen fahren dürfen, sondern um eine Rechtsfrage. Deren Klärung könnte allerdings Folgen haben, die weit über Hedelfingen hinaus wirken. Der zuständige Senat hat deshalb noch Klärungsbedarf.

Der Waldheimverein und Paul Wurm hatten gegen das Urteil des Stuttgarter Landgerichts vom 11. März 2021 Revision eingelegt. Es handelte sich um eine Zivilklage. Der Verein und sein Vorsitzender hatten die Spedition Deisser auf Unterlassung von LKW-Fahrten durch Hedelfingen verklagt. Die Grundstücke beider Kläger grenzen an die Transitstrecke an. Die Kläger vertreten die Ansicht, dass nach dem Stuttgarter Luftreinhalteplan und der spezifischen Beschilderung Schwertransporte durch Hedelfingen nicht zulässig sind. Das Stuttgarter Landgericht sprach dem Waldheimverein und seinem Vorsitzenden aber die Berechtigung zu einer Zivilklage ab. Vereinfacht lautet die Frage: Kann ein Einzelner die Interessen aller wahrnehmen, wenn gegen eine Rechtsnorm verstoßen wird? Und spielt dabei der Gesundheitsschutz – wie im vorliegenden Fall etwa der Schutz vor Abgasen oder Feinstaub – eine besondere Rolle? Darüber haben nun die Karlsruher Richter zu entscheiden.

„Man war dort wohl übereinstimmend der Meinung, dass die bisherige Rechtsprechung, wonach Privatpersonen bei Gesetzesverstößen anderer Privatpersonen oder privater Unternehmen nur die Polizei oder die Ordnungsbehörden zu einem Tätigwerden auffordern können, grundsätzlich überdacht werden muss, wenn es um Fragen des Gesundheitsschutzes geht, die europarechtlich geregelt sind.” Dies berichtete der vom Hedelfinger Waldheimverein und seinem Vorsitzenden mandatierte Stuttgarter Rechtsanwalt Roland Kugler heute nach einem Telefongespräch mit BGH-Anwalt Prof. Dr. Volkert Vorwerk, der den Waldheimverein und Wurm vor dem BGH vertritt.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe nämlich insbesondere beim Thema Feinstaub und Gesundheitsschutz das Klagerecht von Bürgerinnen und Bürgern gestärkt, schreibt Roland Kugler. Und weiter: „Inwieweit diese Rechtsprechung des EuGH, die inzwischen von den Verwaltungsgerichten in Deutschland anerkannt ist, auch für die Zivilgerichtsbarkeit gilt, wird also zu klären sein.”

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, so Rechtsanwalt Kugler weiter, habe wohl Bedenken, „ob man mit einer Änderung der bisherigen Rechtsprechung nicht einer Popularklage Tür und Tor öffne und damit alle Anwohner an einer betroffenen Straße klagen dürften, was bisher nach gängiger Rechtsprechung nicht möglich ist.”

Dies nährt die Spekulation, in der Sache könne eines Tages europäische Rechtsgeschichte geschrieben werden. Genau so gut ist aber auch möglich, dass die Revision abgewiesen wird. Das Urteil soll am 14. Juni verkündet werden.

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