Flüchtlingswohnen: Stadt verzweifelt – Bürger zornig

Stuttgart-Hedelfingen … Die Stadt Stuttgart geht in eine nächste – die fünfte – Runde der Suche nach Standorten für neue Flüchtlingswohnungen. Der Plan hierfür wurde nur vier Tage vor der ersten Behandlung in einem der betroffenen Bezirksbeiräte – in Hedelfingen – von der Stadtverwaltung veröffentlicht.

Am 11. März rief dies so viele Bürger auf den Plan, dass es im Hedelfinger Bezirksrathaus – in dem die Sitzung stattfand – hoch her ging. Am Ende mussten die Vertreter der Stadt mit einem klaren „So nicht!” des Bezirksbeirates zur geplanten Bebauung der Dürrbachwiese die Heimreise antreten (WILIH-Eilmeldung hier). Zurück bleiben eine verzweifelte Stadt und zornige Bürger. Anlass für einige Nachbetrachtungen.

Das Gefühl, überrumpelt zu werden

Das Thema hat eine Vorgeschichte. Vor gut zwei Jahren wollte die Stadt schon einmal Wohnmodule auf der Dürrbachwiese aufstellen lassen. Nach hitzigen Diskussionen im Vorfeld einschließlich einer schließlich wieder zurückgezogenen Onlinepetition, fremdenfeindlichen Äußerungen und persönlicher Bedrohung fand am 13. Dezember 2022 eine Sitzung des Hedelfinger Bezirksbeirats vor Fernsehkameras und unter Polizeischutz statt (WILIH berichtete hier). Damals ging es um Wohnungen für 76 Menschen, der Bezirksbeirat lehnte das Vorhaben ab. Heute sind mehr als doppelt so viele Plätze – für bis zu 156 Menschen – geplant.

So hatten sich die Hedelfinger – nicht bloß die Bezirksbeiräte – das nicht vorgestellt. Schließlich hatte der Bezirksbeirat 2022 einem neuen Flüchtlingsdorf am Ende der Amstetter Straße – wenn auch mit Bedenken – zugestimmt. Allerdings war man dabei zunächst von 76 Unterzubringenden ausgegangen, letztendlich sind es bis zu 124 geworden (WILIH berichtete hier). Das wirkt nach.

Damals wie heute gab die Stadt ihre Beschlussvorlagen so kurzfristig heraus, dass nur wenig Zeit blieb, um sich auf die Pläne und deren Beratung vorzubereiten. 2022 kam die Vorlage sechs Tage vor der Bezirksbeiratssitzung, jetzt waren es sogar nur vier. Bekannt war das Vorhaben spätestens, seitdem WILIH darüber berichtet hatte – das war am 28. Februar (hier). Weil es dem städtischen Papier angeblich noch an einer Unterschrift fehlte, wurde und wurde es nicht veröffentlicht. Als es am 7. März endlich so weit war, fehlte die Unterschrift von Bürgermeister Thomas Fuhrmann trotzdem. Kein Wunder, dass sich Bezirksbeiräte und Bürger überrumpelt fühlen.

Der Eindruck, nicht erwünscht zu sein

Wie üblich, fand die Bezirksbeiratssitzung am 11. März im Bürgersaal des Hedelfinger Bezirksrathauses statt. Normalerweise kein Problem, denn mehr als eine Handvoll Bürger kommt selten. Diesmal stand aber mit der geplanten Flüchtlingsunterkunft ein Reizthema auf der Tagesordnung. Hätte man nach der Erfahrung aus dem Dezember 2022 nicht damit rechnen müssen, dass erneut viele Bürger die Sitzung besuchen wollen? Mehr als der Saal fasst? Selbst Bezirksbeiräte waren erstaunt, dass kein anderer Sitzungsort gewählt wurde. So standen viele Bürger vor dem Saal, teils bis ins Treppenhaus, die Stühle im Bürgersaal reichten bei Weitem nicht aus. Als dann noch der Eindruck aufkam, dass Bürger nicht vor der Türe stehen und mithören dürfen, drohte die Stimmung kurzzeitig sogar zu kippen. Ein vermeidbarer Organisationsfehler.

Bezirksbeiratssitzungen sind zwar öffentlich, sie sind aber keine Bürgerversammlungen. Zuschauen ist also möglich und erwünscht, Rederecht haben Besucher aber nicht. Das ist kein böser Wille, sondern im Interesse eines ordnungsgemäßen Sitzungsablaufs so in der Geschäftsordnung geregelt. Doch wenn ein Thema wie dieses verhandelt wird, wollen Bürger ihre Meinung sagen und Fragen stellen. Deshalb war es gut, dass Bezirksvorsteher Kai Freier und die Bezirksbeiräte sich im Vorfeld darauf verständigt hatten, die Bürger ausnahmsweise zu Wort kommen zu lassen. Die Art und Weise, wie dies dann in der Sitzung angekündigt und moderiert wurde, als erste Stimmungen hochkochten, kam allerdings bürokratisch rüber und führte eher zu mehr als weniger Emotionsentladung.

Einmal stand sogar kurz die Sitzung auf der Kippe, als der Bezirksvorsteher nicht mehr als eine Frage pro Person zulassen wollte. Der Eindruck, mit Kritik nicht erwünscht zu sein, machte die Runde. Eine junge Mutter verließ schließlich – ihr Töchterchen auf dem Arm – die Sitzung unter lautem Protest. Betretene Gesichter.

Wo waren eigentlich die Bürgermeister?

Als Referenten zum Thema hatte die Stadtverwaltung Anette Müller und Jörg Maier nach Hedelfingen entsandt. Müller ist beim Liegenschaftsamt für das Management städtischer Immobilien zuständig und somit auch für Flüchtlingsunterkünfte, Maier beim Sportamt für Vereinsservice und Infrastruktur und in die Sache involviert, weil es sich bei der Dürrbachwiese um eine von der Stadt an den Verein SportKultur Stuttgart vermietete Sportfläche handelt.

Beide hatten die undankbare Aufgabe, zu erklären und zu bewerben, was wahr, aber nicht populär ist: Die Landeshauptstadt ist am Rande der Verzweiflung, was die Unterbringung von immer mehr Flüchtlingen betrifft. Die nun unter anderem für die Dürrbachwiese vorgeschlagenen Modulbauten sind dabei alles andere als eine Ideallösung. Denn sie sind teuer – grob geschätzt etwa 66.000 Euro pro Wohnplatz – und keine Sofortlösung – sie benötigen ein knappes Jahr Bauzeit. Die Stadt sieht aber momentan keine bessere Alternative. Dies vor Ort zu „verkaufen” ist für die städtischen Mitarbeiter bestimmt keine dankbare Aufgabe.

Diesmal mussten aber sie sie übernehmen. Denn im Gegensatz zu 2022 kamen jetzt nicht die zuständigen Bürgermeister der Landeshauptstadt in die öffentliche Sitzung des Bezirksbeirats – Thomas Fuhrmann, auf dessen Unterschrift angeblich gewartet werden musste, und Alexandra Sußmann. Aber dank der einstimmigen Ablehnung des Hedelfinger Bezirksbeirates besteht demnächst vielleicht eine Möglichkeit zum „Nachsitzen”.

Warum muss es unbedingt die Dürrbachwiese sein?

Die Antwort ist dieselbe wie 2022: weil sie sofort bebaut werden kann. In der Bezirksbeiratssitzung war erneut zu hören, dass in der Stadtverwaltung eine „Task Force” mit der Prüfung und Auswahl geeigneter Standorte befasst ist. Dies geschieht verständlicherweise vor allem unter zwei Gesichtspunkten: Wo befindet sich ein unbebautes Grundstück, das möglichst schon der Stadt gehört? Klar, dass die Dürrbachwiese unter diesen Aspekten Begehrlichkeiten auslöst. Ebenso wie der Parkplatz beim Ostfilderfriedhof, über den am 19. März der Bezirksbeirat Sillenbuch beraten soll.

Doch welchen Blick haben die Bewohner des Stadtbezirks auf das fragliche Areal? Die Dürrbachwiese liegt am Übergang von Hedelfingen zu Rohracker. Was man bei einem Blick auf den Stadtplan nicht unbedingt erkennt, ist für die Bürger wichtig: Es handelt sich nicht bloß um eine Sportanlage – mit einem Tartanspiel- und Beachvolleyballfeld, die geopfert werden sollen – und eine Vereinssportstätte, zu der auch noch eine Gaststätte gehört. Für junge Familien ist die Dürrbachwiese als Spielfläche für Kinder wichtig. An diesem Argument hat sich seit 2022 nichts geändert. Dies gilt im Besonderen für die, die im „Sackgassendorf” Rohracker wohnen, dessen Infrastruktur sich gegen Null reduziert hat und in dem es keine Alternativen gibt.

Richtig in Verlegenheit kam der Vertreter des Sportamts, als er mit der Frage konfrontiert wurde, wie die Stadt mit sich und den Bürgern vereinbaren will, dass sie einerseits ein eigenes Programm für „Urbane Bewegungsräume” auflegt, um Motorikproblemen von Kindern entgegenzuwirken, andererseits dann aber ausgerechnet eine beliebte Spiel- und Sportwiese opfern will. Achselzuckend musste der Vertreter der Stadt das Dilemma zugeben.

Und noch eins: Gegenüber der Dürrbachwiese befindet sich die renommierte Senioren- und Pflegeeinrichtung Emma-Reichle-Heim. Ein Hedelfinger, dessen Eltern dort wohnen, berichtete, dass bei Bewohnern die Angst umgeht. Ob die Stadt für das geplante Flüchtlingsdorf einen 24-Stunden-Sicherheitsdienst organisieren werde, wollte er wissen. Das sei in Stuttgart nicht notwendig, antwortete Anette Müller. Die Stuttgarter Flüchtlingsunterkünfte – mit zwei Dritteln Familienbelegung und Nationalitätenmix – gälten als sicher. Polizeieinsätze gäbe es so gut wie nie. Das mag sein. Aber Statistiken helfen nicht gegen Sorgen. „Alles Rotze!” schimpfte der unzufriedene Fragesteller und verließ wütend den Saal.

Wie ist das denn nun mit der Überschwemmungsgefahr?

Gegen eine Bebauung der Dürrbachwiese sprach bislang vor allem die Sorge, das Areal könne bei einem Jahrhunderthochwasser überschwemmt werden. Für eine Wiese nicht so schlimm, für eine Wohnsiedlung hingegen gefährlich. Sportvereinshonoratioren und „Stücklesbesitzer” wissen dazu Beispiele aufzuzählen – auch aus der jüngeren Vergangenheit. Erinnerungen an die Flutkatastrophe im Ahrtal tun ein Übriges, um aufzurütteln. Und wer übernimmt im Fall der Fälle die Verantwortung? Die Frage blieb unbeantwortet.

Die Stadt sieht sich nämlich seit wenigen Wochen auf der sicheren Seite. Unabhängig von den Bebauungsplänen für die Dürrbachwiese wurde in ihrem Auftrag eine Flussgebietsuntersuchung durchgeführt. Die Ergebnisse wurden im Dezember 2024 in einer Sitzung des Hedelfinger Bezirksbeirats vorgestellt (WILIH berichtete hier). Überraschend: Für die Dürrbachwiese sahen die Gutachter keine Überschwemmungsgefahr. Jedenfalls nicht rechnerisch, denn angeschaut hatten die Gutachter sich das Gelände erklärtermaßen nicht. Weil der Bezirksbeirat nachhakte, wurde dann noch einmal nachgerechnet. In der Februarsitzung des Bezirksbeirats gab Kai Freier bekannt: keine Überschwemmungsgefahr!

Ortskundige bezweifeln dies nach wie vor. Sogar ein Gefälligkeitsgutachten unterstellten Bürger der Stadt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: Wenige Tage nach Bekanntgabe des Nachprüfungsergebnisses schlägt die Stadtverwaltung eine massive Bebauung der Dürrbachwiese vor. Bezirksvorsteher Freier – selbst weder Auftraggeber noch Sachverständiger – schlug deshalb vor, die Gutachter noch einmal referieren zu lassen. In einer öffentlichen Bezirksbeiratssitzung oder sogar bei einem Ortstermin an der Rohrackerstraße. Interessierte Bürger sollten die Gelegenheit bekommen, sich unmittelbar zu informieren.

WILIH liegt der Bericht zur Nachuntersuchung vor. Darin verneinen die Gutachter zwar eine drohende Überflutung der Dürrbachwiese durch einen ausufernden Bußbach; dies könne lediglich den oberen Tennisplatz betreffen. Allerdings halten sie eine Überschwemmung der Wiese bei einem Starkregen für möglich. Grund: Sie liege in einer Mulde. In einer Abbildung aus einem Abruf einer Starkregengefahrenkarte steht nahezu die ganze Dürrbachwiese unter Wasser. So absolut, wie jetzt von Seiten der Stadt behauptet wird, kann man also wohl nicht von „keiner Überschwemmungsgefahr” ausgehen.

Was kann der Bezirksbeirat jetzt erreichen?

Die Ablehnung der Beschlussvorlage 167/2025 (PDF hier) durch den Bezirksbeirat Hedelfingen ist zunächst einmal eine gehörige Klatsche für die Stadt. Das Stadtbezirksparlament hat aber zugleich einen ausführlich begründeten eigenen Antrag verabschiedet, in dem der Stadt Brücken gebaut werden. Sie wird aufgefordert, ihre Planungen zu überarbeiten. Ziel: eine „sozialverträgliche Variante”. Eckpunkte: Tartanplatz, Spielplatz und Vereinsgaststätte erhalten, Beachvolleyballfeld erhalten oder notfalls in nächster Nähe im Stadtbezirk ersetzen, das Areal als Treffpunkt erhalten, maximal 80 Flüchtlinge dort ansiedeln, die angedachten Modulbauten so schnell wie möglich zurückbauen und die Wiese danach wieder herstellen.

Denkbar wäre auch, dass die Stadt von ihrem Vorhaben ein zweites Mal abrückt. Die keinesfalls ausdiskutierte Überschwemmungsgefahr könnte sich als Knackpunkt erweisen. Und der Wunsch der örtlichen Bevölkerung, ihr ein beliebtes und gern genutztes Areal bitte nicht wegzunehmen und stattdessen woanders ein ungenutztes Grundstück zu bebauen, hat natürlich auch Gewicht.

Nur: Die Stadt braucht Flächen. Wenn nicht hier – wo dann? Und: Die Stadt steht unter Zeitdruck. Gut 2.500 Menschen leben derzeit in Stuttgart in Notunterkünften, in denen sie sich nicht selbst versorgen können – insbesondere in Hotels. Das ist für die Bewohner eine Notlösung und für die Stadt teuer. Bereits am 27. März soll der Stuttgarter Gemeinderat beschließen, ob in Hedelfingen, Sillenbuch, Vaihingen und Feuerbach zusammen 416 Plätze in neu zu bauenden Modulbauten geschaffen werden. Die nächste Etappe findet in Sillenbuch statt: Dort tagt der Bezirksbeirat am Mittwoch, 19. März, im Gemeindesaal der katholischen Kirche St. Thomas Morus (18.30 Uhr: Korianderstraße 34); die Sitzung ist öffentlich, der Saal groß.


Was ist los im WILIH-Land? Den wöchentlichen WILIH-Newsletter kostenlos abonnieren und immer kompakt informiert sein! Einfach hier klicken und gleich anmelden, dann bekommen Sie einmal in der Woche die Themen der Woche frei Haus! Abbestellung jederzeit möglich!


3 Gedanken zu „Flüchtlingswohnen: Stadt verzweifelt – Bürger zornig

  • Wenn die „Flüchtlinge“ in ihre Heimatländer wieder zurückgeschickt werden würden, benötigten wir auch keine neuen Unterkünfte und die Gelder könnten in Spielplätze und Schulen fließen.

  • Areal Nill
    Areal Autoport
    Areal Omega-Sorg

    Die zentrale Frage aber lautet: Warum wird die Migration so grosszügig be- und gefördert?-
    Wann kümmert sich die Stadt um Bauplätze für unsere Kinder, die ihrerseits Familien gründen und bleiben wollen?-

  • Auf der Waldau steht das TWS Freizeitzentrum schon Jahre leer. Warum ist die Stadt nicht in der Lage, sich mit der EnBW zu einigen? Dort können über 100 FLÜCHTLINGE untergebracht werden.

Die Kommentare sind geschlossen.