Gegessen wird daheim – Wirtschaftskunde Teil 3

Lebendige Ortsgeschichte (Folge 33). Historisches aus und über Hedelfingen – unterhaltsam erklärt von Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer … Über Hedelfingen und Rohracker gibt es viel zu erzählen. Besonders gut und gerne tun dies der ehemalige Hedelfinger Bezirksvorsteher Hans-Peter Seiler und Hedelfingens Ortshistoriker Michael Wießmeyer. Seit Jahren begeistern die beiden Hedelfingen-Fans bei Vorträgen und Führungen ein stetig wachsendes Publikum mit ihren Geschichten über die Geschichte des vor gut hundert Jahren von Stuttgart eingemeindeten Neckarvororts. WILIH veröffentlicht hier eine Serie mit vielen interessanten Blicken auf die Historie Hedelfingens. In loser Folge wollen die Geschichten-über-Geschichte-Erzähler Seiler und Wießmeyer an dieser Stelle Lust auf Hedelfingen machen.

Thema dieser Folge: Gegessen wird daheim – Wofür die Hedelfinger so viele Wirtschaften brauchten (Folge 3)

Falls Sie die ersten Folgen verpasst haben: Folge 1 finden Sie hier und Folge 2 hier.

Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer beim Stöbern in historischen Fotos
Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer beim Stöbern in historischen Dokumenten

In der Folge 3 unserer kleinen Wirtschaftskunde gehen wir gedanklich wieder zurück in die Zeit um 1900 und wollen die Rohracker Wirtshäuser in den Mittelpunkt stellen. Damit Sie die Örtlichkeiten einordnen können, schaffen wir auch die Verbindung in die heutige Zeit.

In unserer letzten Geschichte waren wir an der Ortsgrenze umgekehrt, also bei der heutigen Dürrbachstraße. Hier starten wir heute mit unserer Exkursion und gehen die Rohrackerstraße entlang, die damals, als Rohracker noch eine selbständige Gemeinde war, Hedelfinger Straße hieß.

Damals gab es hier noch keine Häuser. Erst im Ortsinneren von Rohracker ist linkerhand das Gasthaus mit Metzgerei, Saalbau zum Hirsch. Ach – was wurden dort Feste gefeiert! Von der Taufe über Hochzeiten bis zum sogenannten Leichenschmaus nach einer Beerdigung. Natürlich wurde dort auch der Kirbetrauben aufgetanzt. Der Hirsch ist heute Geschichte, und im Nachfolgebau waren der Konsum-Lebensmittelmarkt, danach Penny-Discount-Lebensmittel, gefolgt vom Schlecker-Drogeriemarkt, untergebracht. Nach einem Zwischenspiel eines Brautmodengeschäftes folgte ein Leerstand und nunmehr der Umbau zu Wohnraum.

Rund um die „Alte Schule” um 1925
Rund um die „Alte Schule” um 1925

Der Rohrackerstraße bergwärts folgend, damals war dieser Straßenzug die Stuttgarter Straße, finden wir auf der rechten Seite, noch vor der Bernhardskirche, das „Gasthaus zur Alten Schule“. Bei genauem Hinsehen können wir uns das heutige Wohnhaus gut als Schule und späteres Gasthaus vorstellen.

Es geht auf der Stuttgarter Straße weiter bergan und siehe da, steht auf der linken Straßenseite ein altehrwürdiges Haus mit Bäckerei und Gaststätte im 1. Obergeschoß, das „Waldhorn“ mit seinem berühmten Schillererker, in dem der Dichterfürst an seinen „Räubern“ geschrieben haben soll. Nach einem tragischen Unfall eines Gastes im Treppenhaus ist das Lokal seit ein paar Jahren geschlossen. Die Rohracker Bevölkerung ist hier immer gerne eingekehrt, und auch Eduard Mörike hat sich dort gestärkt, bevor er seinen Rohracker Pfarrerkollegen besuchte.

Ganz in der Nähe hätten wir früher in der Gaststätte Eintracht einkehren können. Später hat dort die Familie Frick offene Milch in ihrem Milchlädle verkauft.

Es bleibt uns also nichts anderes übrig, wenn wir etwas zu trinken bekommen wollen, als die Treppen hinabzusteigen, um an der Sillenbucher Straße die Gaststätte Rose aufzusuchen. Früher eine Lokalität mit Gastgarten, in dem sich die Handwerker zum Vesper trafen oder den Tag ausklingen ließen (wie auf dem Beitragsbild ganz oben zu sehen). Die wohlschmeckenden Brezeln der angeschlossenen Bäckerei waren über die Grenzen von Rohracker hinaus bekannt. Vielleicht lag es daran, dass sie in einem Gestell neben der Backstube im Freien auskühlten. Nach einem Brand vor etlichen Jahren eröffnete die Rose nicht wieder. Ach herrje! Was machen wir nun?

Wir schauen uns um und entdecken ein paar Häuser weiter das Gasthaus Krone. Heute steht dort ein Neubau mit Wohnungen. Dahinter ist der Pavillon der Evangelischen Kirchengemeinde.

Wie gut, dass Rohracker eine neue Schule gebaut hat und dort die Vereinsgaststätte „Rohreck“ der SportKultur Stuttgart unter der Sporthalle der Tiefenbachschule ihr Domizil hat. Beim Wirt „da Salvo“ können wir uns heutzutage stärken. Der Weg nach Hedelfingen wäre nun doch sehr weit, deshalb fahren wir mit dem Bus zurück.

Wir haben nun noch einmal nachgezählt und kommen in Rohracker auf sieben Gasthäuser; in Hedelfingen gab und gibt es 32 Gasthäuser, also zusammen 39. Alle auf einmal gab es natürlich nicht, aber doch sehr viele, denn in Hedelfingen wurde 1800 auf 100 ha und noch 1900 auf 80 ha Weinbau betrieben. In Rohracker immerhin 66 ha. Die Weingärtner waren also gezwungen, ihren erzeugten Wein zu verkaufen. Dies geschah in den Schankwirtschaften, allerdings nicht nur in beiden Orten, sondern auch nach Stuttgart. Somit wäre beantwortet, warum so viele Wirtschaften in Hedelfingen und Rohracker vorhanden waren.

Nun könnten wir uns noch den Besenwirtschaften zuwenden.  

Es war eine oft abenteuerliche Geschichte mit den Besenwirtschaften. Vorschriften oder eine richtige polizeiliche Verordnung gab es vor 1900 nicht. Die Erzeuger schenkten ihren Wein schon mal recht eigen aus, heute würde man sagen „unter dem Ladentisch”. Die älteste Besenwirtschaft war im Haus Goldschmid, neben der Alten Kirche. „Im Himmel“ wurde sie von den Besuchern genannt. 

Alte Hedelfinger im Besen
Alte Hedelfinger im Besen

Heinrich Strauß, der zwei kleine Bücher zu Hedelfingen geschrieben hat, beschreibt die Besenwirtschaften wie folgt: „Vor der Jahrhundertwende gab es noch keine polizeiliche Verordnung zum Führen von Besenwirtschaften und deshalb wurde der Wein von den Erzeugern zeitweilig eben wild ausgeschenkt. Die älteste bekannte Besenwirtschaft befand sich nach mündlicher Überlieferung im Hause Goldschmid neben der alten Kirche. Der Wirt hieß Steißlinger und seine Besenwirtschaft wurde „Im Himmel“ genannt. Spätere polizeilich genehmigte Besenwirtschaften waren im Ort die von Albert Schray, Wendnagel, Hohl, und Richard Hartmann. Bei den Besenwirtschaften trafen sich in der Regel meist die Älteren vom Flecken und man erfuhr dort das neueste vom Tage.“ So weit die Beschreibung von Heinrich Strauß.

Viele Bilder haben wir von den Besenwirtschaften nicht, von Wilhelm Wendnagel, dem Großvater von Gerhard und Wilhelm Haidle allerdings einen bedruckten Weindeckel, von Richard Hartmann ein paar Bilder mit „alten Hedelfingern“ in seinem Besen. 

Ob sich mal wieder ein Besen in Hedelfingen auftut? Ausgeschlossen ist es, nach dem momentanen Zustand des Weinbaus in Württemberg, nicht.

Auf dem Beitragsfoto ganz oben genießen Handwerker den Feierabend im Garten der Rose in Rohracker.

WILIH dankt Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer für diese Geschichte. Die historischen Fotos und Dokumente stammen aus dem Fundus des Alten Hauses Hedelfingen.

Nächstes Thema dieser Serie: Mühlen in Hedelfingen – von der Mühle zur Bleicherei


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