Was an Hedelfingens Alter Kirche so besonders ist

Lebendige Ortsgeschichte (Folge 12). Historisches aus und über Hedelfingen – unterhaltsam erklärt von Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer, [post_published] … Über Hedelfingen gibt es viel zu erzählen. Besonders gut und gerne tun dies der ehemalige Hedelfinger Bezirksvorsteher Hans-Peter Seiler und Hedelfingens Ortshistoriker Michael Wießmeyer. Seit Jahren begeistern die beiden Hedelfingen-Fans bei Vorträgen und Führungen ein stetig wachsendes Publikum mit ihren Geschichten über die Geschichte des vor gut hundert Jahren von Stuttgart eingemeindeten Neckarvororts. WILIH veröffentlicht hier eine Serie mit vielen interessanten Blicken auf die Historie Hedelfingens. In loser Folge wollen die Geschichten-über-Geschichte-Erzähler Seiler und Wießmeyer an dieser Stelle Lust auf Hedelfingen machen.

Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer beim Stöbern in historischen Fotos
Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer beim Stöbern in historischen Dokumenten

Thema dieser Folge: Kleinod im Haufendorf – Was an Hedelfingens Alter Kirche so besonders ist

Die Alte Kirche ist das älteste Bauwerk im Ort und gleichzeitig eine der ältesten Kirchen in Stuttgart. Hedelfingen liegt am westlichen Rand des Neckartrichters und der Ausmündung des Dürrbachtals. Es ist ein ehemaliges Haufendorf und umfasst 1830 die Rohracker-, Heumadener-, Frucht-, Heimgarten-, Ruiter-, Kreuzhalden- und Amstetter Straße, den Hedelfinger Platz und den Friedhof. Die Dorfkirche an der alten Reichsstraße nach Esslingen am Neckar ist eigentlich unscheinbar.

Alte Kirche Hedelfingen um 1940
Die Alte Kirche um 1940

Doch bei genauerer Betrachtung ist bis heute nicht unbedingt nachvollziehbar, warum dem kleinen Ort Hedelfingen im 13. Jahrhundert die Ehre zuteil wurde, in ihm eine kleine Wehrkirche, die zunächst nur aus einem einschiffigen Langhaus besteht, zu errichten, die auch noch so prächtig ausgemalt wurde. Ein Teil der ersten Ausmalung ist noch zu sehen. Es ist die älteste erhaltene Bemalung einer Kirche in Stuttgart. Das Gemälde stellt Petrus dar, der das Himmelstor für einen großen Kirchenfürsten öffnet. Die hohen weltlichen und kirchlichen Würdenträger werden in das Himmelreich durchgereicht.

Inzwischen besteht der einfache Bau aus einem einschiffigen, hochmittelalterlichen Langhaus und einem spätgotischen Chor.

Besondere Ereignisse, die bis heute nicht geklärt sind, müssen Anlass für die Wandmalerei gewesen sein. Erstaunlich ist vor allem die erneute, noch aufwendigere zweite Ausmalung der Kirche nach deren Teilzerstörung im Jahre 1449. Die Darstellung der zehn Gebote sind eindrucksvoll, ebenso die weiteren Wandmalereien zur christlichen Geschichte und die Ausschmückung des Chores.

Sie ist ein Kleinod gotischer Baukunst und deshalb gehört sie zu den schönsten Kirchenbauten im Stuttgarter Stadtgebiet. 

Alte Kirche Hedelfingen Wandgemälde Südseite
Wandgemälde an der Südseite

Auffallend sind die an der Südseite der Kirche zu sehenden Verdammten. Sie werden vom Teufel in den Höllenrachen gestoßen. Ein Verdammter trägt eine Krone. Ca. 150 Jahre nach der ersten Ausmalung, als man die hohen Herren in den Himmel durchwinkte, stößt man jetzt gekrönte Häupter in den Höllenschlund. Luther ist noch nicht geboren, aber die Welt hat sich schon drastisch verändert. Selbst in einem so unbedeutenden Dorf wie Hedelfingen wird dargestellt, dass sogar ein Fürst oder König in der Hölle landen kann.

Alte Kirche Hedelfingen 2012
Die Alte Kirche 2012 (Foto: Dieter Bohnacker)

Im Zuge der Reformation wurde die Innenbemalung der Alten Kirche weiß übermalt und dadurch unbeabsichtigt die Bemalung geschützt. Glücklicherweise hat man vom Abschlagen des Putzes Abstand genommen.

Als 1457 eine neue Fehde zwischen der Reichsstadt Esslingen und Württemberg auszubrechen drohte, flüchteten die Nonnen des Klosters Weil nach Stuttgart. Wohl kehrten sie dann wieder in ihr Kloster zurück, aber die eigentliche Blütezeit war zweifellos vorüber. Dafür spricht auch die Zahl der Nonnen, die gegenüber dem Jahre 1448 mit 130 nun nur noch mit 20 angegeben ist. Dennoch muss in diesem zeitlichen Zusammenhang ein Vesperbild (Marienklage) genannt werden. Heute wird angenommen, dass die Skulptur in Ulm hergestellt wurde, und zwar in der Werkstatt eines Nachfolgers von Hans Multscher, der sie im Jahre 1471 für das Kloster Weil schuf. Mit der späteren Auflösung des Klosters wanderte das Vesperbild in die Kirche zu Hedelfingen, wohin Weil 1772 eingepfarrt wurde. Jetzt ist dieses Meisterwerk im Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart (Altes Schloss) aufgestellt und ist ein letzter Hinweis für die Glaubensinbrunst im klösterlichen Leben.

Wir dürfen in diesem Zusammenhang noch eine Geschichte erzählen, die sich nach der Reformation zugetragen haben soll. Das Kloster in Weil war aufgelöst, aber die Nonnen waren noch da. Diese waren zum Kirchgang verpflichtet. In Weil waren kein Pfarrer und kein Gottesdienst. Deshalb mussten sie nach Hedelfingen wandern und saßen nunmehr als katholische Schwestern in der evangelisch gewordenen Dorfkirche.

Die Verantwortlichen des Fördervereins Alte Kirche und Kreuzkirche e.V. haben die Alte Kirche in den vergangenen 29 Jahren gehegt und gepflegt. Die wiederentdeckten Freskenmalereien wurden restauriert, ein Taufstein, eine Orgel und sogar eine Glocke wurden gespendet und das Altarkreuz aufgearbeitet. Kirchenwächter öffnen an manchen Markttagen, an manchen Sonntagen und am Tag des offenen Denkmals die Kirche zur Besichtigung. Führungen des Fördervereins ermöglichen einen Eindruck von der Bedeutung dieser jahrhundertealten Kirche.

Spenden sind stets willkommen: Volksbank am Württemberg, IBAN: DE 29 6006 0396 0037 5860 09.

WILIH dankt Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer für diese Geschichte. Die historischen Fotos und Dokumente stammen aus dem Fundus des Alten Hauses Hedelfingen.

Nächstes Thema dieser Serie: Arrest im Rathaus


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