Wie sich die B 10 auf Hedelfingen ausgewirkt hat

Lebendige Ortsgeschichte (Folge 4). Historisches aus und über Hedelfingen – unterhaltsam erklärt von Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer, [post_published] … Über Hedelfingen gibt es viel zu erzählen. Besonders gut und gerne tun dies der ehemalige Hedelfinger Bezirksvorsteher Hans-Peter Seiler und Hedelfingens Ortshistoriker Michael Wießmeyer. Seit Jahren begeistern die beiden Hedelfingen-Fans bei Vorträgen und Führungen ein stetig wachsendes Publikum mit ihren Geschichten über die Geschichte des vor hundert Jahren von Stuttgart eingemeindeten Neckarvororts. WILIH veröffentlicht hier eine Serie mit vielen interessanten Blicken auf die Historie Hedelfingens. In loser Folge wollen die Geschichten-über-Geschichte-Erzähler Seiler und Wießmeyer an dieser Stelle Lust auf Hedelfingen machen.

Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer beim Stöbern in historischen Fotos
Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer beim Stöbern in historischen Dokumenten

Heute mit einem Beitrag über eine Stadtautobahn ohne Tempolimit – heutzutage schwer vorstellbar. Aber die meisten Autos fuhren damals kaum über 100 km/h.

Wie sich die B 10 auf Hedelfingen ausgewirkt hat

Vor den 1960er Jahren gab es im Neckartal noch keine Bundesstraße. Der Verkehr rollte links und rechts des Neckars von Esslingen oder Stuttgart kommend durch die Vororte. Wangen, Hedelfingen, Obertürkheim und Untertürkheim waren stark belastet. In Hedelfingen fuhren tausende Autos durch die heutige Amstetter Straße von Esslingen-Weil in Richtung Stuttgart und umgekehrt. Eine große Belastung für die Bevölkerung entlang dieser Straße. Auf dieser Wegeführung sind vermutlich schon die Römer mit ihren Karren gerollt. Dieser uralte Handelsweg von Cannstatt nach Köngen hatte schon damals eine große Bedeutung. Der ansteigende Kraftfahrzeugverkehr verlangte regelrecht nach einer neuen Straße abseits des Wohnortes.

1957 war es endlich so weit: Der Bau der Bundesstraße stand bevor. Gleichzeitig fragte man sich: Bringt das neue Jahr eine Verkehrskatastrophe? Die Bundesstraße 10, also die Amstetter Straße, wird zur Achillesferse des Verkehrs durch das Neckartal. Es war geplant, dass der im Gang befindliche Umbau der B 10 zwischen der Stadtgrenze bei Hedelfingen und der Pliensauvorstadt Esslingen dazu führen soll, dass diese Straßenstrecke vollständig gesperrt wird.

Im Jahr 1958 war der Bau in vollem Gang. Mehr als 30.000 Kubikmeter Erde mussten bewegt werden. Die Sperrung der Bundesstraße 10 führte bereits zu Straßeneinbrüchen. Ein Dammbau an der Markungsgrenze war erforderlich, denn der Neckar floß damals noch ganz nahe bei der heutigen Deponie Einöd.

Aus der Palmenwaldklinge rollten unablässig mit rötlicher Erde beladene Lastwagen auf die alte, jetzt gesperrte Bundesstraße 10 und weiter in Richtung Esslingen. Es ist Auffüllmaterial für die Trasse der neuen B 10.

Wasser ist der grimmigste Feind des Straßenbaues. Beim Bau sind an der Markungsgrenze erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden. Sickerwasser vom Neckar her, als Wasserandrang aus dem Berg des Palmenwaldes, als Hochwasser und als Regen. Das schwierigste Problem – dies war von vornherein klar – war der Bau der Trasse zwischen der alten B 10 und dem Werkskanal der Spinnerei Brühl. Dieser Abschnitt liegt zwischen dem heutigen Wertstoffhof Einöd und dem Neckar-Center. 30.000 m³ Schüttmaterial liefert der Aushub der Trasse von Hedelfingen bis zum Barackenlager, das damals in der Nähe der Spinnerei war. Fels, der zum Teil unter Wasser gesprengt werden musste. Hochwasser trat als Gegner auf und überschwemmte dreimal die Baugrube.

Zeitungsbeitrag über die neue Uferstraße aus dem Jahr 1959
Zeitungsbeitrag aus dem Jahr 1959 über den Bau der B 10

Bereits 1959 wird weitergebaut von Hedelfingen bis zur Talstraße. Der zweite Bauabschnitt der künftigen Uferstraße wird ausgeschrieben. 4,2 Kilometer lang, 135.000 Kubikmeter Erdarbeiten, 63.000 Quadratmeter Betonfahrbahn. Eine „Obertürkheimer Straße“, die in Hedelfingen beim Gasthaus Hirsch begann, gibt es nur noch jenseits der neuen Bundesstraße. Diesseits, innerhalb von Hedelfingen, wird, was von ihr übrigblieb, in „Binderstraße“ umbenannt, nach dem Namen eines alteingesessenen Hedelfinger Geschlechts.

Am 10.7.1959 steht die Autostraße dicht vor der Verkehrsfreigabe. Es ist der erste Bauabschnitt der Bundesstraße 10. Die Omnibuslinie Esslingen-Hedelfingen, die Linie 5, wird ebenfalls in Betrieb genommen. Mit Vollgas geht es nun von Hedelfingen nach Esslingen. Man stelle sich vor: Auf dieser Straße besteht HALTEVERBOT! KEINE GESCHWINDIGKEITSBEGRENZUNG! Etwas Revolutionäres! 10.000 Fahrzeuge täglich wurden auf dieser Strecke zuletzt gezählt. Allerdings ist anzumerken, dass die damaligen Durchschnittsautos kaum mehr als 100 Stundenkilometer fahren konnten.

Fertige Bundesstraße 10
Das waren noch Zeiten – fast keine Autos auf der B 10

Im März 1961 geht auch der zweite Bauabschnitt der modernen Stadtautobahn von Stuttgart nach Esslingen in Betrieb. Die neue B 10 ist eine Gemeinschaftsleistung von Bund, Land und Stadt.

Damals sagte man, dass diese Straßenanlage auf lange Zeit hinaus auch gesteigerten Verkehrsansprüchen genügen dürfte. Jedoch war schon eine Erweiterungsmöglichkeit auf sechs Fahrspuren vorgesehen, falls einmal die Umgehungsstraße Waiblingen-Fellbach in der Nähe des Heizkraftwerks angeschlossen werden sollte. Die Gesamtkosten von der Markungsgrenze Esslingen bis Schwanenplatz beliefen sich auf 21.965.000 DM. Heute fahren auf der vierspurigen Straße ca. 70.000 Autos.

Der sechsstreifige Ausbau ist derzeit nicht vorgesehen, obwohl die B 14 nunmehr angeschlossen ist. Im Bereich Esslingen fehlt der Platz für die jeweilige dritte Fahrspur. Allerdings gibt es zwischen den Anschlussstellen Wangen und Heizkraftwerk Gaisburg inzwischen die dritte Fahrspur in Form von Ein- und Ausfädelungen. Die Zukunft wird zeigen, wie es mit der Verkehrsentwicklung weitergeht.

Das Beitragsfoto oben aus dem Jahr 1961 zeigt einen Blick über das Fabrikgelände der Firma Schaudt nach Hedelfingen.

WILIH dankt Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer für diese Geschichte. Die historischen Fotos und Dokumente stammen aus dem Fundus des Alten Hauses Hedelfingen.

Nächstes Thema dieser Serie: Milchkur und Landleben – Was Hedelfingen Leo Vetter zu verdanken hat und warum er nach Hedelfingen kam


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