Die Schulbank gedrückt – Folge 1: Rohracker

Lebendige Ortsgeschichte (Folge 21). Historisches aus und über Hedelfingen – unterhaltsam erklärt von Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer … Über Hedelfingen gibt es viel zu erzählen. Besonders gut und gerne tun dies der ehemalige Hedelfinger Bezirksvorsteher Hans-Peter Seiler und Hedelfingens Ortshistoriker Michael Wießmeyer. Seit Jahren begeistern die beiden Hedelfingen-Fans bei Vorträgen und Führungen ein stetig wachsendes Publikum mit ihren Geschichten über die Geschichte des vor gut hundert Jahren von Stuttgart eingemeindeten Neckarvororts. WILIH veröffentlicht hier eine Serie mit vielen interessanten Blicken auf die Historie Hedelfingens. In loser Folge wollen die Geschichten-über-Geschichte-Erzähler Seiler und Wießmeyer an dieser Stelle Lust auf Hedelfingen machen.

Thema dieser Folge: Die Schulbank gedrückt – Wieso Hedelfingen und Rohracker so viele Schulhäuser bekamen (Folge 1: Rohracker)

Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer beim Stöbern in historischen Fotos
Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer beim Stöbern in historischen Dokumenten

Schulunterricht ist heute in aller Munde. Zumeist natürlich bei den Eltern mit Kindern. Über die Leistungen der Schüler und Schülerinnen wird in der Pisa-Studie berichtet. Keine Angst! Wir wollen uns nicht in die laufenden Diskussionen einmischen. Wir beleuchten die Entwicklungen in den Stadtteilen Hedelfingen und, heute zuerst, in Rohracker.

Bereits 1559 wurde die Schulpflicht in Württemberg eingeführt. Es war der einzige Staat innerhalb Deutschlands, der eine Schulgesetzgebung hatte und auch grundsätzlich danach lebte. Die staatliche Schulpflicht bedeutet, dass die Obrigkeit für die Einhaltung der Schulpflicht verantwortlich ist. Das ist einmalig in ganz Europa.

1534 führte Herzog Ulrich die Reformation in Württemberg ein. Zusammen mit Johannes Brenz setzt er die Große Württembergische Kirchenordnung 1559 ein, in der es ein eigenes Kapitel über deutsche Schulen gibt. Dies ist natürlich dem Reformator Martin Luther zu verdanken, der nicht nur die Kirchen verändert, sondern auch das Schulwesen für die Bevölkerung geöffnet hat.

Hier ein paar Jahreszahlen: 1559 Schulpflicht in Württemberg, 1717 Schulpflicht in Preußen, 1802 Schulpflicht im Kurfürstentum Bayern, 1835 Schulpflicht in Sachsen. Seit 1919 gab es in der Weimarer Republik die allgemeine Schulpflicht; von 1938 bis 1945 galt das Reichsschulpflichtgesetz.

In der Bundesrepublik Deutschland galt die Schulpflicht zunächst nur für Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit. Erst in den 1960er Jahren wurde sie für ausländische Kinder eingeführt.

Nun schauen wir nach Rohracker und sehen, dass die Rohracker Schüler bis 1684 nach Hedelfingen zum Unterricht mussten. Zu Fuß, versteht sich! Öffentliche Verkehrsmittel gab es damals nicht, und das Eltern-Taxi war noch nicht erfunden. Der erste Schulunterricht in Rohracker begann mit Schulmeister Johann Georg Seiffer. Wo genau er unterrichtete, ist nicht geklärt. Vermutlich fand die Schule in seinen Privaträumen statt.

Rohracker-Postkarte mit verschiedenen Schulmotiven um 1923Das erste Schulhaus baute die selbständige Gemeinde nach 1728 an der heutigen Rohrackerstraße 273. In diesem Haus war ein Schulsaal, das Rathaus und eine Wohnung für den Lehrer untergebracht. Für die Gemeinde Rohracker bedeutete dies einen finanziellen Kraftakt.

Das zweite Schulhaus, heute Rohrackerstraße 262, entstand um 1845, ebenfalls das Rathaus. Dieses Schulhaus wurde dann 1901 zu einer Wirtschaft „Zur alten Schule“, die bis in die 1950er Jahre betrieben wurde (Foto oben, um 1910, und auf der Postkarte links unten, um 1923). Es gab im Erdgeschoss eine Metzgerei und im 1. Obergeschoss die Gaststätte. 1916 betrieb das Gasthaus „zur Schule“ Georg Röhm und ab ca. 1923 das Gasthaus und die Metzgerei der Inhaber H. Schlipf. Heute ist dieses Gebäude ein Wohnhaus.

Das dritte Schulhaus wurde an der Tiefenbachstraße 3 erbaut. Es ist ein stattlicher Backsteinbau, den heute der rührige Förderverein Alte Schule als Bürgerhaus betreibt (auf der Postkarte rechts unten, um 1923). 

Diese 1901 erbaute Schule verfügte über zwei Schulsäle und zwei Lehrerwohnungen. Die Turnhalle war im Erdgeschoss und 1,20 m tiefer gelegt mit einem eigenen Eingang an der Westseite. Neben der Turnhalle befand sich im Erdgeschoss noch die Kinderschule (Kindergarten). Zwei kleinere Wohnungen im Dachstock waren für die Kindergärtnerin und die Krankenschwester reserviert. An der Nordseite war der Schulhof, und in der hinteren Ecke in einem kleinen Schuppen das Schülerklosett. Erst 1955 wurde das Schülerklosett in die Schule eingebaut. 1956 waren, nach Umbaumaßnahmen, sechs Klassenzimmer, ein Werkraum und ein Handarbeitsraum vorhanden.

Mammmutbaum vor der Alten Schule Rohracker 1974
Rohracker Mammutbaum 1974

Die Geschichte des heutigen, dominierenden Mammutbaumes vor dem dritten Schulhaus begann 1961. Die Achtklässler der Volksschule Rohracker besuchten Hallwangen und bekamen einen 20 cm großen Setzling des Mammutbaumes geschenkt. Dieser wurde vor der Schule eingepflanzt. Der Baum ist heute über 60 Jahre alt. Bis in die 1980er Jahre wurde er von der Stadt Stuttgart zu Weihnachten beleuchtet. Seit einigen Jahren hat der rührige Förderverein Alte Schule Rohracker mit seinem Vorsitzenden Gerhard Schlecht diese Tradition wieder aufleben lassen.

Am 18. Mai 1973 wurde als vierte Schule die Tiefenbachschule eröffnet. Ihrer Website ist zu entnehmen: „Die Tiefenbachschule im Stuttgarter Stadtteil Rohracker ist eine Grundschule, in der großer Wert darauf gelegt wird, dass sich alle Kinder wohl fühlen und auf vielfältige Weise lernen können. Aus diesem Grund beschäftigen wir uns intensiv mit modernen Lehrmethoden, um sowohl das einzelne Kind als Individuum zu fördern als auch das Zusammenleben in der Gemeinschaft zu lehren. Mit unseren Lehrerinnen betreuen wir nur sieben Klassen, was eine intensive Auseinandersetzung mit den Kindern zulässt. Als kleine Schule nutzen wir deshalb den Vorteil, uns in guter Infrastruktur und mit motivierten Kolleginnen nachhaltig um die erste Schulausbildung unserer Schüler/innen zu kümmern.“

Tiefenbachschule 2019 (Archivfoto: WILIH)

Mit Eröffnung der Tiefenbachschule hat der Rohracker Sport- und Kulturverein (SKV) dort seine Turn- und Sporthalle erhalten, die er gemeinsam mit der Schule nutzt. Auch die Sportvereinsgaststätte „Rohreck“, derzeit „da Salvo“, ist in diesem Gebäude untergebracht. Die alte Turnhalle im Bußbachtal wurde aufgegeben und abgebrochen. Der SKV Rohracker hat sich mit drei weiteren Vereinen in Hedelfingen und Wangen zur SportKultur Stuttgart (SKS) verschmolzen.

Wie die Tiefenbachschule Rohracker im Vereins- und gesellschaftlichen Leben eingebunden ist, ist beispielgebend.

WILIH dankt Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer für diese Geschichte. Die historischen Fotos und Dokumente stammen aus dem Fundus des Alten Hauses Hedelfingen.

Nächstes Thema dieser Serie: Die Schulbank gedrückt – Teil 2: Hedelfingen


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