Flüchtlingswohnen – Chaos in Sillenbuch programmiert

Stuttgart-Sillenbuch/Hedelfingen … Am 19. März hatte der Bezirksbeirat Sillenbuch über die Errichtung von Wohnmodulen für Flüchtlinge auf dem Friedhofsparkplatz am Höhenring zu beraten. Er entschied sich mit großer Mehrheit gegen das Vorhaben der Stadt Stuttgart (WILH-Eilmeldung hier). Wie bereits in Hedelfingen (hier) verärgerte das städtische Vorgehen Bürger und Bezirksbeiräte. Wegen offenkundiger Planungsmängel droht in Sillenbuch ein jahrelanges Baustellenchaos. Anlass zu einem Blick auf das städtische Verwaltungshandeln und mögliche Folgen.

Die fünfte Tranche zur Flüchtlingsunterbringung droht zu einem Desaster für die Stadtverwaltung zu werden. In Hedelfingen und Sillenbuch fielen die städtischen Standortvorschläge mit Pauken und Trompeten durch. Besonders deutlich trat das Planungsversagen in Sillenbuch zutage. Die Stadtverwaltung zog daher die Notbremse: Die eigentlich für diese Woche vorgesehene Abstimmung im Gemeinderat ist erst einmal vertagt. Ob sich vor Ostern noch eine wirkliche Perspektive auftut, ist offen. Die so dringend benötigten Wohnangebote für Flüchtlinge könnten sich um Monate verzögern.

Keine Akzeptanz für Standorte mit infrastruktureller Bedeutung

Alle drei bis am 24. März abgelehnten Standorte aus der fünften Tranche haben langjährig eine besondere infrastrukturelle Bedeutung für ihren Stadtbezirk. Offenbar wurde dies von der Stadtverwaltung nicht gesehen. Gegenwehr aus der Bürgerschaft darf daher nicht als Überraschung gelten.

Die Dürrbachwiese in Hedelfingen ist als Vereinssportstätte und öffentlich zugängige Spiel- und Sportfläche vor allem für Kinder und Familien von Bedeutung. Als Standort für Flüchtlingsunterkünfte wurde sie bereits vor gut zwei Jahren abgelehnt.

Der Parkplatz beim Höhenringweg in Sillenbuch dient als Friedhofsparkplatz, für den es – im Gegensatz zur Sichtweise der Stadt – keinen adäquaten Ersatz gibt, solange die mehrstöckige Tiefgarage im geplanten Bürgerzentrum noch nicht zur Verfügung steht. Die Sillenbucher SPD weist in dem Zusammenhang darauf hin: „Für den Ostfilderfriedhof sind 37 Parkplätze dauerhaft vorzuhalten.” Außerdem kollidiert die Fläche mit zwei kommenden Großbaustellen der Stadt (Feuerwehr und Bürgerzentrum) und würde notwendige Baustellenlogistik geradezu verhindern.

Ähnlich stellt sich die Situation am Killesberg dar. Auch dort findet die Stadt keine Akzeptanz für ihre Standortidee. Am 24. März lehnte der Bezirksbeirat von Stuttgart-Nord eine Flüchtlingsunterkunft ab (mit sechs zu fünf Stimmen). Das vorgeschlagene Areal an der Lenbachstraße hat insbesondere in der Freibadsaison eine wichtige Funktion als Parkplatz. Ersatzflächen für Besucher des Höhenfreibads stehen nicht zur Verfügung. 2024 gab es bereits Widerspruch aus dem faktisch betroffenen Feuerbach. Zudem: Für eine Flüchtlingsunterkunft ist der Standort abwegig und nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln angebunden.

Vermeidbare Planungsfehler verstärken den Zeitdruck

Die Stadtverwaltung steht unter enormem Handlungsdruck. Gut 2.500 Geflüchtete leben derzeit ohne Möglichkeit zur Selbstversorgung in Notunterkünften, hauptsächlich in Hotels. Sie sollen so schnell wie möglich einen festen Wohnsitz bekommen. Die von der Stadt dafür gewählte Unterbringung in Wohnmodulen funktioniert aber nur, wenn sich Grundstücke finden lassen, auf denen die Holzbauten aufgestellt werden können.

Daher ist jede Zeitverzögerung zu vermeiden. Planungsfehler wie im Sillenbucher Fall schaden nicht bloß der Stimmung vor Ort, sie gefährden sogar das große Ganze. Und das in einer Situation, in der sich wenig bis keine Stimmung gegen Flüchtlinge erkennen lässt. Im Gegenteil: Der Sillenbucher Bezirksbeirat stellte seinem detailliert begründeten Nein zum Friedhofsparkplatz in einem Positionspapier und durch Wortbeiträge in seiner Sitzung  ein klares Bekenntnis zur notwendigen Aufnahme von Geflüchteten voran.

Die Vertagung im Gemeinderat hat Folgen. Interessant, wie sich der städtische Immobilienmanager Axel Wolf dazu am 24. März in der öffentlichen Sitzung des Bezirksbeirats Stuttgart-Nord äußerte: Die am Killesberg eigentlich für Anfang 2026 geplante Inbetriebnahme von Flüchtlingswohnungen dürfe man nun wohl „frühestens im Frühsommer 2026“ erwarten. Vermutlich betrifft dies gleichermaßen die Pläne für Hedelfingen und Sillenbuch – wenn sie überhaupt noch zum Tragen kommen.

Diese „Strafrunde“ hat die Stadtverwaltung sich selbst eingebrockt, weil ihre Standortvorschläge – dargestellt in der Gemeinderatsdrucksache 167/2025 – offensichtlich mit heißer Nadel gestrickt waren. Nun könnte man kopfschüttelnd nach Hause gehen und sagen: „selbst schuld!“ So einfach ist es aber nicht. Die Konsequenzen tragen nämlich nicht die Planer in den städtischen Amtsstuben, sondern die Flüchtlinge in den Notunterkünften und die Steuerzahler, die für den Mehraufwand aufkommen müssen.

Desaströse Kommunikation der Stadt 

Neben der Sache selbst rief das kommunikative Vorgehen der Stadt in Sillenbuch erneut massive Kritik hervor. Angefangen mit der Veröffentlichung des städtischen Plans „auf den letzten Drücker“ (WILIH berichtete hier) mangelt es durchgängig an Transparenz. Schon deshalb lässt sich wenig Akzeptanz für das Vorhaben erzielen.

Im Sillenbucher Fall kommt noch ein katastrophales Hin und Her bei den städtischen Zeitangaben hinzu. Laut Beschlussvorlage der Stadt ist davon auszugehen, dass die Wohnmodule in Sillenbuch für drei Jahre aufgestellt werden sollen. In einer Presseauskunft gegenüber WILIH spricht die Stadt dann von zwei Jahren. Und in der Sillenbucher Bezirksbeiratssitzung heißt es wieder: drei Jahre. Was denn nun? Übrigens: Durch die jetzige Verzögerung blieben vielleicht sogar nur eineinhalb Jahre für Aufbau, Einrichtung, Belegung, Bewohnenlassen und Wiederabbau. Die Rechnungsprüfer können schon mal ihre Bleistifte spitzen.

Und dann sind sich auch noch die Ämter uneinig in der Frage eines möglichen Baubeginns! In ihrer eigenen Beschlussvorlage behauptet die Stadt, der auf dem Friedhofsparkplatz geplante Feuerwehrbau werde sich durch die Zwischennutzung als Flüchtlingsdorf nicht verzögern. Die örtlichen Feuerwehren haben sich vor der Bezirksbeiratssitzung dazu noch einmal bei der Stadt erkundigt. In einer E-Mail vom 17. März an die Sillenbucher Bezirksbeiräte (die WILIH vorliegt) erinnern die Feuerwehrkommandanten von Riedenberg und Sillenbuch an den erst vor eineinhalb Jahren gefassten Vorprojektbeschluss. Darin ist für Herbst 2028 der Baubeginn beim Ostfilderfriedhof vorgesehen. „Diese Zeitschiene wurde uns vom Hochbauamt am 10. März 2025 per E-Mail bestätigt”, schreiben die Kommandanten.

Dem steht die Aussage von Daniel Benneweg in der Sitzung des Bezirksbeirats Sillenbuch am 19. März entgegen. Dort hatte der Leiter der städtischen Flüchtlingsabteilung unter Bezugnahme auf eine Auskunft – ebenfalls aus dem Hochbauamt der Stadt – behauptet, der Feuerwehrbau könne frühestens in vier bis fünf Jahren – von heute an gerechnet – starten, also 2029 bis 2030. Am 20. März bestätigte Pressesprecher Sven Matis dies gegenüber WILIH. Was gilt denn nun? 2028, 2029 oder gar 2030? Weiß bei der Stadt die linke Hand nicht, was die rechte tut?

Selbst Eingeweihte schütteln nur noch den Kopf. Dass die Bürger ihre Stadt nicht mehr verstehen, ist also kein Wunder. Es muss sich dringen etwas ändern – zum Besseren! Einen interessanten Ansatz bringen jetzt die Stuttgarter Grünen ins Spiel. Am 21. März startete die Gemeindratsfraktion einen Antrag, in dem sie von der Stadt standardisierte Informationsveranstaltungen bei neuen Unterkünften für Geflüchtete fordert – bei denen Bürger frühzeitig und standortnah einbezogen werden.

Bürgerzentrum bei der Planung völlig ausgeblendet

Blick über den Park & Ride Parkplatz an der Kirchheimer Straße
Auf dem heutigen Park & Ride Parkplatz bei der Stadtbahnhaltestelle Schemppstraße soll das Sillenbucher Bürger- und Verstaltungszentrum gebaut werden

Das Tohuwabohu bei der Zeitplanung ist schon erschreckend genug. Mindestens so verstörend ist aber, dass im Sillenbucher Fall ausschließlich das ins Auge gefasste (städtische) Grundstück betrachtet wurde. Und nicht auch das Nachbargrundstück, auf dem die Stadt selber ihr Bürger- und Veranstaltungszentrum für Sillenbuch bauen möchte.

Dadurch wurde völlig ausgeblendet, dass die Baustellenlogistik nicht funktionieren kann. Denn: Wäre der Friedhofsparkplatz mit Wohnmodulen zugebaut, könnte die Baustelle des Bürgerzentrums von unten her nicht mehr angedient werden. Der obere Park & Ride-Parkplatz wird aber Baugrundstück des Bürgerzentrums und steht somit auch nicht zur Verfügung.

Und die Straßenverbindung zwischen Höhenringweg und Kirchheimer Straße wird als Zu- und Abfahrt für Friedhof, Gewerbebetrieb am Friedhofsparkplatz sowie Baustellenverkehr durchgängig benötigt. Sie kann unmöglich für die Baukräne, Baucontainer und Materiallager gesperrt werden. Von wo aus soll also die Großbaustelle für ein dreistöckiges Gebäude mit mehrstöckiger Tiefgarage eingerichtet, angefahren und betrieben werden?

Ortskundige fragen sich: Wurde der Standort nur mit Drohnenblick vom Schreibtisch aus geprüft und ausgewählt?

Verheddert sich die Stadt im eigenen Organigramm?

In die Hedelfinger Sitzung zum Thema entsandte die Stadtverwaltung Vertreter des Liegenschafts- und des Sportamtes. In Sillenbuch referierte ein Vertreter des Sozialamts. Das tangierte Friedhofsamt war hingegen nicht vertreten. Im Hintergrund – so war zu hören – haben auch noch das Hochbauamt und das Stadtplanungsamt ein Wörtchen mitzureden. Und weil es um einen Neubau geht, spielt – wie regelmäßig bei Bauvorhaben – der Artenschutz eine Rolle. Das ruft auch noch das Amt für Umweltschutz auf den Plan. Weitere Ämterbeteiligungen sind zumindest im Hinblick auf Verkehrsfragen denkbar.

Zudem ist für das Vorschlagen von Standorten für die Unterbringung Geflüchteter eine „Task Force“ zuständig. Auf der Webseite der Stadt Stuttgart wird erklärt, was das Gremium tun soll: „Die Fachbehörden bringen ihre spezifischen Aspekte ein. Dazu gehören Finanzierbarkeit, Baurecht, Brandschutz, Planrecht, Lärmschutz und soziale Verträglichkeit. Die Verantwortlichen leiten daraus dann Szenarien und Pläne ab, die gegebenenfalls dem Gemeinderat zur Entscheidung vorgelegt werden.“ Klingt einfacher, als es in der Praxis wohl ist – wie die aktuellen Beispiele zeigen.

Stadt in Not schafft vollendete Tatsachen

Ständig neue Zuweisungen von Flüchtlingen bringen die Kommunen, die für die Unterbringung zu sorgen haben, nicht erst seit gestern in Not. Das ist kein spezielles Stuttgarter Problem. Aber: Wie kreativ und erfolgversprechend geht die Landeshauptstadt damit um?

In Sillenbuch hieß es nun, die Stadt habe 150 Standorte geprüft. Aber welche? Das wurde den Sillenbucher Bezirksbeiräten und den anwesenden Bürgern in der Sitzung am 19. März nicht verraten. Vielleicht hätte man die getroffene Auswahl dann besser verstanden.

Dass eine geplante Flüchtlingsunterkunft nirgends Begeisterung hervorruft, ist bekannt. Verständlich, dass dies an den Nerven städtischer Mitarbeiter nagt, die überall eine Abfuhr riskieren. Aber: Rechtfertigt das, die Bürger und Kommunalpolitiker vor vollendete Tatsachen zu stellen?

Der Stuttgarter Gemeinderat wollte eigentlich am 27. März über neue Standorte für Flüchtlingswohnungen entscheiden – unter anderem für Hedelfingen und Sillenbuch. Das ist zwar erst einmal vertagt, kommt aber bald wieder auf die Tagesordnung. Vielleicht mit Verbesserungen, möglicherweise auch mit neuen Vorschlägen.

Wenn dann irgendwann final zu entscheiden ist, trägt der Gemeinderat auch eine Verantwortung für die Akzeptanz des städtischen Verwaltungshandelns in der Zukunft. Im Klartext: Würde gegen die Voten von Bezirksbeiräten und die Sorgen der Bürger entschieden, dann wären künftige Beratungen in den Stadtbezirken nicht mehr als bedeutungslose Ehrenrunden. Und damit ein Nährboden für Frust und Politikverdrossenheit.


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