Das Stuttgarter Rössle hat sich vergaloppiert

Ist das Kunst oder kann das weg? Diese legendäre Frage hat die Stadt Stuttgart in Bezug auf das Wangener Tor so eindeutig beantwortet, wie es eindeutiger nicht geht: Es kann weg! Konnte, um genau zu sein. Denn es ist bereits verschwunden. Wären nicht Presseanfragen dazwischen gekommen, dann wäre der Abriss des kunstvollen Tores – das zweifellos zu den Wangener Wahrzeichen gehörte – wohl klammheimlich erfolgt. So gut („gut” aus Sicht der Stadt) das eben gegangen wäre. Denn dass Nachbarn ein Auge auf das Tor und damit auch auf seinen Abriss haben, das hätte die Stadtverwaltung wissen müssen. Schließlich hat Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper im Rahmen seiner Sommertour 2021 vor der Wangener Kelter publicityträchtig 500 Unterschriften entgegengenommen, die für einen Erhalt des Wangener Tores gesammelt worden waren. Die Art und Weise, wie jetzt in den Faschingsferien eiligst das angeblich aus Sicherheitsgründen nicht mehr zu verantwortende Bauwerk dem Erdboden gleich gemacht wurde, lässt Erinnerungen an die Rodung des Sanctuariums von Herman de Vries am Pragsattel im Jahre 2018 aufkommen. Damals war zwar noch Fritz Kuhn Chef im Stuttgarter Rathaus und nicht Frank Nopper. Doch der hatte im OB-Wahlkampf immer als eines seiner Ziele ausgegeben, das Stuttgarter Rössle nicht nur auf Trab, sondern sogar in Galopp zu bringen – womit er die Administration der Landeshauptstadt gemeint hat. Da besteht offenbar noch Trainingsbedarf, denn: In Wangen hat sich das Rössle nun mächtig vergaloppiert, auch wenn es vielleicht sachlich gerechtfertigt war, das Wangener Tor jetzt schon abzureißen und die finanziellen Auswirkungen einer möglichen Sanierung – die eine Mehrheit des Wangener Bezirksbeirats vor einer Entscheidung wissen wollte – gar nicht mehr genau zu prüfen. Keine Frage: Wäre das marode Bauwerk von einem Sturm umgerissen worden und spielende Kinder wären von herabstürzenden Steinen erschlagen worden, dann wäre das ein Skandal erster Güte gewesen und jeder hätte die Stadtverwaltung beschuldigt, unverantwortlich gewesen zu sein und leichtfertig Menschenleben aufs Spiel gesetzt zu haben. Aber: Bestand diese Gefahr zum jetzigen Zeitpunkt auch nur annähernd? Die Argumentation der Stadt liefert dazu keinerlei Hinweise. Vielmehr wurde der Abriss mit der Unwirtschaftlichkeit einer Sanierung begründet. Das mag man im Stuttgarter Rathaus so gesehen haben, aber dann wäre es fair gewesen, den Bezirksbeirat vor einer Abrissverfügung hierüber zu informieren. Oder zumindest über den bevorstehenden Abriss. Aber dass die Stadt vieles an ihnen vorbei macht und sie dann vor Ort wie Deppen aussehen lässt, sind die Bezirksbeiräte schon gewohnt – nicht bloß in Wangen. Die Causa Wangener Tor offenbart aber auch noch ein weiteres Manko der Landeshauptstadt: die Kommunikation nach außen. Nicht nur, dass schon die Information über den Abriss des Wangener Tores völlig schief gegangen ist, nun setzt die Stadt mit der Behauptung, einige Bauteile seien beim Jugendhaus für ein späteres Projekt eingelagert worden, noch einen drauf. Das stimmt nämlich überhaupt nicht, widerspricht die Jugendhausgesellschaft. Was übrig bleibt in Wangen, ist verbrannte Erde. Ein Kommunikationsdesaster erster Güte. Dummer Zufall: Ausgerechnet in unmittelbarer Nachbarschaft des (inzwischen ehemaligen) Wangener Tors will die städtische Müllabfuhr ihren neuen Betriebshof errichten – was in Wangen auf so viel Widerstand stieß, dass in der Planungsphase sogar der zuständige Bürgermeister im Bezirksbeirat vorreiten musste. Ein überaus seltener Vorgang und in Sachen Kommunikation letztlich auch kein Erfolg. Dass die Müllabfuhr trotzdem bauen darf und sogar schon mit dem Bau begonnen hat, akzeptieren viele Wangener nach wie vor nicht. Die Müllabfuhr hat sachlich natürlich nichts mit dem abgerissenen Tor zu tun. Außer, dass sich beides im selben Quartier abspielt. Immerhin hat die Stadt auf Kritik am Termin für den vom OB in Aussicht gestellten Bürgerdialog rasch reagiert. Der war nämlich zunächst für die Faschingsferien angesetzt und nur für Anwohner vorgesehen worden. Als klar war, dass das nur Ärger geben würde, hat man den Ausspracheabend auf den 22. März verlegt. Damit besteht wenigstens noch die Chance, ein weiteres Kommunikationsdesaster in Wangen zu vermeiden. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

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