Die arrangierte Hochzeit – das Schlössle zum Glück
Lebendige Ortsgeschichte (Folge 18). Historisches aus und über Hedelfingen – unterhaltsam erklärt von Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer … Über Hedelfingen gibt es viel zu erzählen. Besonders gut und gerne tun dies der ehemalige Hedelfinger Bezirksvorsteher Hans-Peter Seiler und Hedelfingens Ortshistoriker Michael Wießmeyer. Seit Jahren begeistern die beiden Hedelfingen-Fans bei Vorträgen und Führungen ein stetig wachsendes Publikum mit ihren Geschichten über die Geschichte des vor gut hundert Jahren von Stuttgart eingemeindeten Neckarvororts. WILIH veröffentlicht hier eine Serie mit vielen interessanten Blicken auf die Historie Hedelfingens. In loser Folge wollen die Geschichten-über-Geschichte-Erzähler Seiler und Wießmeyer an dieser Stelle Lust auf Hedelfingen machen.
Thema dieser Folge: Die arrangierte Hochzeit – das Schlössle zum Glück
Seit 1893 besaß Carl Ferdinand Friedrich Bopp das „Schlössle“. Wer war C.F.F. Bopp?
1837 wurde er in Münsingen auf der Alb geboren. Er lernte Konditor in Urach und arbeitete später in Stuttgart, wobei er Buchführung und kaufmännische Korrespondenz erlernte. Bereits mit 24 eröffnete er eine eigene Konditorei mit gemischtem Warengeschäft in Münsingen.
Nachdem er 1891 sein Geschäft in Münsingen verkaufte, erwarb er 1893 ein Anwesen in Hedelfingen, das von den Hedelfingern respektvoll „Schlössle“ genannt und wie folgt beschrieben wird: 2 Wohnhäuser, 1 Freiterrasse, 2 ebene Weingelände, Obst-, Beeren- und Gemüsegarten, 1 Taubenhaus. Das Anwesen war 54 ar groß. Mit seiner Frau Luise und seinen jüngeren Kindern zog er ins Schlößle ein.
Gegenüber, auf der anderen Straßenseite, war das große Pfarrhaus, in dem Pfarrer Karl Gottlieb Theurer mit seiner Frau Sophie Katharine und seinen neun Kindern lebte. Theurer ist 1840 in Lustnau geboren. Pfarrer Theurer konnte „die verdorbene und freche Jugend“, wie er sich öfters äußerte, gar nicht leiden und stand von Anfang an nicht auf einem besonders guten Fuß mit ihr. Sein Religions- und Konfirmandenunterricht war sehr streng. Allerdings führte Pfarrer Theurer in Hedelfingen die „Kinderkirche“, also den Kindergottesdienst, oder wie es außerhalb Württembergs heißt, „die Sonntagsschule“, ein.
Sicherlich kannten sich die jungen Leute beider Häuser, so wohnten sie ja genau vis à vis. Wie aus der drittgeborenen Johanna Lydia Theurer, 1874 geboren, und dem ältesten Sohn Karl Bopp, 1864 geboren, ein Paar wird, aus dessen Ehe sechs Kinder hervorgehen, erzählt uns sein Sohn Werner Bopp, 1901 geboren:
„Im Alter von genau dreißigeinhalb Jahren, nämlich am 1. März 1885, zum Professor an der Realschule in Tübingen ernannt, konnte Dr. phil. Karl Bopp an die Gründung eines eigenen Hausstands denken. Es war in jener Zeit durchaus in Ordnung, daß ein junger Mann nicht eher ans Heiraten dachte, als bis er eine gesicherte Stellung in der bürgerlichen Welt errungen hatte.
Die Wünsche des jungen Schulmannes richteten sich auf die um zehn Jahre jüngere Johanna Theurer, die Tochter des Pfarrers von Hedelfingen bei Stuttgart, die im Elternhaus lebte und von dort aus das „Königliche Konservatorium für Musik“ in Stuttgart zwecks Ausbildung in den Fächern Gesang und Klavierspiel besuchte.
In Hedelfingen, das damals noch ein sehr ländliches Bauern- und Weingärtnerdorf war, wohnten auch die Eltern des Karl Bopp, nachdem sie sich frühzeitig ins Privatleben zurückgezogen und dort im Jahr 1893 ein stattliches Anwesen erworben hatten. Das Wohngebäude, von den Dorfbewohnern respektvoll als „Schlößle“ bezeichnet, lag dem Pfarrhaus schräg gegenüber.
Es ist anzunehmen, daß zwischen den beiden Häusern suchende Blicke herüber und hinüber gingen, auch ergab sich vielleicht dann und wann auf der Dorfstraße eine flüchtige Begegnung zwischen den beiden Menschen, die füreinander bestimmt waren; aber sich einfach einmal anzureden, das hätte den guten Sitten der Zeit widersprochen. Vielmehr ging der Weg über die Eltern.
Der Vater des heiratswilligen jungen Mannes übernahm es daher, den ersten Schritt zu tun. Er eröffnete der Frau Pfarrer Theurer den Wunsch seines Sohnes, sich als Bewerber „um die Hand ihrer Tochter Johanna“ im Pfarrhaus vorstellen zu dürfen. Unverzüglich ließ der Vater der Umworbenen ein Handschreiben abgehen, worin er in aufmunternder, aber nicht vorgreifender Weise seine Zustimmung zu erkennen gab. Dieses Schreiben, in meinen Augen ein Kabinettstück diplomatischer Sprachbeherrschung, ist im Original erhalten und hat folgenden Wortlaut:
Hedelfingen d. 29. Jan. 1897
Geehrtester Herr Nachbar!
Mit Beziehung auf Ihre gestrige Unterredung mit meiner lieben Frau beehre ich mich, Ihnen ergebenst mitzuteilen, daß wir unsere Tochter Johanna von Ihrem Wunsch verständigt haben. Sie hat sich demselben günstig ausgesprochen. Wir selbst haben Ihren geehrten Sohn als einen tüchtigen, soliden Mann schätzen gelernt, dem es gewiß auch an einer guten religiösen Grundlage nicht fehlen wird. Wir bitten denselben freundlich von uns grüßen zu wollen.
Der Herr lenke alles zum Besten!
Mit freundnachbarschaftlicher Begrüßung
Ihr Sie hoch schätzender K. Theurer / Pf.
Soweit die Geschichte von Werner Bopp.
Kurz darauf verlobten sich Johanna und Karl (Foto oben), und bereits am 18. August 1897 heirateten sie und wurden vom Vater der Braut, Pfarrer Karl Theurer, in der Hedelfinger Kirche getraut.
Ihren ersten gemeinsamen Hausstand hatten Sie dann in Tübingen. Es war eine glückliche und zufriedene Ehe, aus der sechs Kinder hervorgingen: 1898 Klara, 1899 Walther, 1900 Erich, 1901 Werner, 1905 Eberhard und 1908 Irmingard.
Die Autoren bedanken sich herzlich bei Eva Constanze Schmidt und Wieland Bopp-Hartwig für die überlassenen Unterlagen.
WILIH dankt Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer für diese Geschichte. Die historischen Fotos und Dokumente stammen aus dem Fundus des Alten Hauses Hedelfingen.
Nächstes Thema dieser Serie: Der Bürgersaal im Rathaus Hedelfingen
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