Vom Darlehenskassenverein zur modernen Volksbank

Lebendige Ortsgeschichte (Folge 10). Historisches aus und über Hedelfingen – unterhaltsam erklärt von Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer, [post_published] … Über Hedelfingen gibt es viel zu erzählen. Besonders gut und gerne tun dies der ehemalige Hedelfinger Bezirksvorsteher Hans-Peter Seiler und Hedelfingens Ortshistoriker Michael Wießmeyer. Seit Jahren begeistern die beiden Hedelfingen-Fans bei Vorträgen und Führungen ein stetig wachsendes Publikum mit ihren Geschichten über die Geschichte des vor gut hundert Jahren von Stuttgart eingemeindeten Neckarvororts. WILIH veröffentlicht hier eine Serie mit vielen interessanten Blicken auf die Historie Hedelfingens. In loser Folge wollen die Geschichten-über-Geschichte-Erzähler Seiler und Wießmeyer an dieser Stelle Lust auf Hedelfingen machen.

Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer beim Stöbern in historischen Fotos
Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer beim Stöbern in historischen Dokumenten

Thema dieser Folge: Vom Darlehenskassenverein im Hinterzimmer zur modernen Volksbank

Banken gibt es in Deutschland seit dem Mittelalter. Für die einfachen Menschen gab es da keinen Zugang. Als der Genossenschaftsgedanke mit der aufkommenden Industrialisierung immer mehr um sich griff, wurden Darlehensvereine, Sparkassen und Volksbanken gegründet.

Die Gründungsversammlung des Darlehenskassenvereins Hedelfingen fand am 30. April 1912  im Gasthaus zum Ochsen statt. Alte Hedelfinger Familiennamen und Ortsgeschichte findet man in den Gründungslisten, unter anderen Baisch, Denneler, Barth, Greuling, Bleibler, Hägele, Binder, Lautenschlager, Strauß, Ruff, Schray, Weyhenmeyer, Schwinger, Steißlinger, Goldschmid und viele weitere.

Der erste Vorstand des Darlehenskassenvereins Hedelfingen war Erwin Fischer, Verwaltungsaktuar im Schultheißenamt Hedelfingen. Die Geschäfte der Bank fanden anfangs im neu gebauten Hedelfinger Rathaus statt, später in Privathäusern und im Hinterzimmer mancher Gastwirtschaft. Der Gedanke war, für Handwerker, Wengerter und normale Bürger eine Möglichkeit zu bieten, ihre Geldgeschäfte erledigen zu können. „Einer für alle, alle für einen – Gemeinsam sind wir stark” war der Werbeslogan.

In der ersten Generalversammlung 1913 berichtete Vorstand Fischer und Aufsichtsrat Frey folgendes: Die Bilanzsumme betrug 30.956,14 Reichsmark (RM), die Mitgliederzahl 61. Die gesamten Spareinlagen beliefen sich auf 40,51 RM und der Gewinn 63,76 RM. 1916 war es dann soweit, die erste Dividendenausschüttung von vier Prozent fand statt. Dafür wurden 34,20 RM benötigt. Durch den 1. Weltkrieg waren die Bankgeschäfte sehr eingeschränkt. Aber: Die Warengeschäfte der Darlehenskasse weiteten sich aus. Brennstoffe, Düngemittel und Schädlingsbekämpfungsmittel bestimmten die Geschäfte und die Gewinne.

Der verlorene Krieg und die Jahre vor der Inflation 1923 bescherten dem Verein viele zusätzliche Mitglieder. Der zunehmende Scheckverkehr führte 1921 dazu, dass dies der Hedelfinger Darlehenskassenverein ebenfalls einführte. Sattlermeister Carl Schall wurde Vorstand und konnte stolz verkünden: „Die bescheidene Kasse ist zur Ortsbank geworden”. 1928 änderte man den Namen des Darlehenskassenvereins in Hedelfinger Bank.

Gasthaus Ochsen Hedelfingen 1910
Gasthaus Ochsen zur Gründungszeit der Hedelfinger Bank

Die Weltwirtschaftskrise 1929 brachte die Hedelfinger Bank in Not. Es waren die schwersten Jahre in der Geschichte der Bank. Kreditverluste und der Wertverfall der Sicherheiten ließen sie an den Rand der Existenz taumeln. Nur mit fremder Hilfe konnten die Bilanzverluste 1931 und 1932 bereinigt werden.

Im Jahr 1937 feierte man das 25-jährige Jubiläum. Die Bank zählte da schon 334 Mitglieder, und man hatte bereits einen hauptamtlichen Geschäftsführer. Die Bilanzsumme betrug 500.000 RM. Die Hedelfinger Bank änderte ihre Rechtsform. Von einer Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht in eine mit beschränkter Haftung. Die Privaträume und Hinterzimmer waren nicht mehr zeitgemäß, und so beschloss die Generalversammlung den Bau eigener Geschäftsräume an der Esslinger Straße 27. Heute beherbergt das Gebäude die Firma Sport Groß (Beitragsfoto oben).

Zügig wuchs die Bank und wurde erst im Laufe des 2. Weltkrieges ausgebremst. Am 21. Juni 1948 trat die sehnlichst erwartete Währungsreform in Kraft, mit der die Deutsche Mark eingeführt wurde. Die Bilanzsumme von 5,65 Millionen Reichsmark reduzierte sich auf 411.892,76 Deutsche Mark. Das ehemals einträgliche Warengeschäft reduzierte sich immer weiter. Die zunehmende Industrialisierung und die abnehmende Zahl der Landwirte sowie der starke Verlust der landwirtschaftlichen Flächen im Neckartal waren die Ursache. Mitverursacht wurde dies durch den  Bau des Neckarhafens, der 1958 eingeweiht wurde, viele Grundstücke vernichtet hat und sich wegen des Verkehrs gleichermaßen zum Fluch und Segen der Neckarvororte entwickelte. Anfang der 1960er Jahre gab man das Warengeschäft komplett auf.

1956 fusionierte die Hedelfinger Bank zum ersten Mal und schluckte die Heumadener Bank. Die Frage, welche Bank Seniorpartner oder Juniorpartner ist, lässt sich sogar für Laien einfach beantworten: Wo arbeitet der Vorstandsvorsitzende?

Auf Wunsch des amtierenden Vorstandsvorsitzenden der heutigen Volksbank am Württemberg Armin Hornung nun eine kurze Zusammenfassung der Geschichte der Heumadener Bank: 1887 wurde der Darlehenskassenverein Heumaden gegründet. Eine Sparbüchse, die wie ein Kassenschrank aussah, war das Markenzeichen der Bank. Die Rechner waren überwiegend Lehrer, die den Verein in ihrer Freizeit unterstützten. Selbst sonntags durfte man sein Geld einzahlen. Die Geschäftsentwicklung der Spar- und Darlehenskasse Heumaden verlief völlig anders als in Hedelfingen. Zu einem eigenen Bankgebäude hat es nicht gereicht. Die Geschäfte wurden in Privathäusern der Mitglieder oder in der alten Volksschule abgewickelt.

Erst nach der Fusion wurden erste Geschäftsräume der „Heumadener Bank“ an der Nellinger Straße 2 in Heumaden eröffnet. Diese Niederlassung der Hedelfinger Bank entwickelte sich nach der Fusion rasant weiter. Heumaden wurde größer und die Niederlassung ebenso, eine Zweigstelle am Hochholzweg und der Neubau der „Heumadener Bank“ an der Fenchelstraße 13 folgten.

Baustelle der Hedelfinger Bank an der Ecke Amstetter/Friedrichshafener Straße
Neubau der damaligen Hedelfinger Bank am heutigen Volksbank-Standort

Nun wieder nach Hedelfingen. Das Wirtschaftswunder ließ auch die Bankgeschäfte wachsen. Jährliche, hohe zweistellige Steigerungsraten waren normal. 1975 erwarb die Hedelfinger Bank das altehrwürdige, aber nicht mehr ansehnliche Gebäude des Gasthauses zum Ochsen, die danebenliegende „Kaserne“ und das Kaufhaus Nagel. Somit wurde auf der Gründungsstätte das stattliche und große Gebäude der Hedelfinger Bank an der Friedrichshafener Straße gebaut. Mitten im Ort, neben dem Rathaus konnte man sich weiterentwickeln. Der heimische Architekt Hans Baisch hat dieses imposante Gebäude 1977 fertiggestellt, und die neuen hochmodernen Geschäftsräume konnten genutzt werden.

Die Erfolgsgeschichte wurde mit ihrem letzten Vorstandsvorsitzenden Dieter Baisch weitergeschrieben. Der selbständige Kaufmann war im Ort bestens vernetzt. Viele zusätzliche Ehrenämter und das riesengroße Interesse an Hedelfingen zeichneten ihn aus. Als langjähriger Bezirksbeirat versuchte er auch auf dem politischen Weg den Ort weiterzuentwickeln.

Blick vom Turm der Kreuzkirche auf das Rathaus-Eck
Blick vom Turm der Alten Kirche (1984)

Der Genossenschaftsverband (GENO) hat einen Traum: eine einzige große Stuttgarter Volksbank. Weiter führen die hohen Zwänge der Bankaufsicht und immer neuere „Basel-Regulierungsvorschriften“ die Banken in Fusionen. So fusionierten die Hedelfinger Bank und die Untertürkheimer Bank rückwirkend zum 1.1.2001. Es wurde die Untertürkheimer Bank daraus – und wo saß der Vorstandsvorsitzende?

Diese neue Untertürkheimer Volksbank geriet nie in Schieflage, im Gegensatz zu manchem genossenschaftlichen Bruder. Doch der Druck zu fusionieren nahm nicht ab. Die Untertürkheimer Bank schaute über den Tellerrand hinaus und fand mit der Fellbacher Bank einen ebenso denkenden Fusionspartner, dessen Fusionsabsicht mit der Kerner Volksbank scheiterte. Der Name der neuen Bank ist Volksbank am Württemberg. Der Sitz ist in Fellbach.

Regionalzentrum der Volksbank am Württemberg im März 2023
Regionalzentrum der Volksbank am Württemberg im März 2023

Dass Hedelfingen weiterhin eine Bank im Ort hat, ist den Entscheidungsträgern von früher zu verdanken, die dieses große Gebäude erstellt haben. Nach der Kernsanierung wurde jetzt das Regionalzentrum Hedelfingen eröffnet. Ob dies so bleibt, liegt an uns vor Ort und in der Umgebung. Es ist und wird eine Abstimmung mit den Füßen. Wer zum Beispiel mit dem Rollator zur Bank muss oder die Hilfe von erwachsenen Kindern und Verwandten braucht, weiß, wie einfach man eine Vollmacht bei der Bank vor Ort zeigen kann und nicht wie bei Online-Banken per Einschreiben schicken muss – in der Hoffnung, dass die Originalvollmacht wieder zurückkommt. Matthias Müller war vor dem Umbau bereits in Hedelfingen und ist hier weiterhin der kompetente und hilfsbereite Ansprechpartner. Eine Online Bank mag günstiger sein, der Service, den eine Bank vor Ort bietet, ist unschlagbar, auch wenn sie etwas teurer sein mag.

Wir wünschen der Volksbank am Württemberg und ihrem Regionalzentrum in Hedelfingen alles Gute und viel Erfolg!

Herzlichen Dank sagen die Autoren an Gerlinde Baisch und Thomas Ensinger für ihre Unterstützung.

WILIH dankt Hans-Peter Seiler und Michael Wießmeyer für diese Geschichte. Die historischen Fotos und Dokumente stammen aus dem Fundus des Alten Hauses Hedelfingen.

Nächstes Thema dieser Serie: Wie aus Brennholz ein Millionenvermögen wurde


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