Flüchtlinge – Stadt will keine Turnhallen belegen

Stuttgart-Hedelfingen/Sillenbuch/Wangen … Über 10.000 Geflüchtete – rund 2.000 mehr als in der Krise 2016 –  leben derzeit in Stuttgart in Flüchtlingsheimen, gute 3.000 von ihnen immer noch in Notunterkünften. Die Stadt steht mit dem Rücken zur Wand, denn monatlich kommen netto hundert Flüchtlinge neu hinzu. Deshalb ist die Stadtverwaltung auf jede Unterstützung aus den Stadtbezirken angewiesen.

Am Abend des 15. März 2024 versammelte sie alle Bezirksbeiräte zu einer gemeinsamen Sitzung mit den Bürgermeistern für Soziales, Finanzen und Bauen, Vertretern von Sozial-, Stadtplanungs- und Hochbauamt sowie dem Geschäftsführer der stadteigenen Wohnbaugesellschaft SWSG im Stuttgarter Rathaus. Dabei ging es ums große Ganze, nicht um einzelne Standorte.

Belegung im WILIH-Land noch überschaubar

Die Ausgangssituation: Insgesamt leben in Stuttgarter Unterkünften Flüchtlinge aus 59 Nationen. Spitzenreiter sind mit 34 Prozent Ukrainer – vor Syrern (13 Prozent), Türken (11 Prozent) und Afghanen (8 Prozent). Ende Januar 2024 gab es in Stuttgarter Stadtbezirken insgesamt 23 reguläre und acht Notunterkünfte für Geflüchtete.

Im WILIH-Land ist die Belegung noch überschaubar. Notunterkünfte gibt es derzeit dort gar keine. In regulären Unterkünften leben – bezogen auf jeweils tausend Einwohner – in Wangen vier Geflüchtete, in Hedelfingen acht und in Sillenbuch 13. Zum Vergleich: Spitzenreiter in Stuttgart sind Weilimdorf mit 38 und Münster mit 36 Geflüchteten pro tausend Einwohner.

Neue Unterkünfte werden erst in eineinhalb Jahren bezugsfertig sein

Diese Informationsveranstaltung war überfällig. Zwei Jahre nach Beginn des Ukrainekriegs und trotz zweijähriger Arbeit einer eigens für die Bewältigung der Flüchtlingskrise eingesetzten „Task Force” fehlen stadtweit immer noch jede Menge Unterkünfte. Daher wird auf dem ganzen Stadtgebiet nach geeigneten Standorten gesucht. Wenig überraschend ist die sofortige Verfügbarkeit eines Grundstücks, erst recht wenn es sich im Eigentum der Landeshauptstadt befindet, bei der Standortprüfung ein „wesentlicher Faktor”. Und: Möglichst 1.500 Quadratmeter sollen für die Bebauung zur Verfügung stehen. Auch leerstehende Bürogebäude will die Stadt nun stärker ins Visier nehmen. Allerdings sei deren Umnutzung „anspruchsvoll”, hieß es.  Stichworte: Energiekonzept und Brandschutz.

Immerhin gibt es inzwischen ein Raum- und Wohnkonzept mit „Containermodulen” für reguläre Unterkünfte. Allerdings vergehen von der Planung bis zur Belegung rund eineinhalb Jahre. Auch wenn dies bei der Stadt als „sehr beschleunigtes Verfahren” angesehen wird: Ad hoc-Problemlösungen sind so nicht zu erwarten.

Besser ausgestattete Containermodule sollen mehr Wohnqualität bieten

Die Stadt baut sowohl größere Containeranlagen aus Metallcontainern, wie am Guts-Muths-Weg auf der Waldau. Sie ähneln der inzwischen aufgelösten Anlage am Hasenwedel neben dem Sillenbucher Geschwister-Scholl-Gymnasium (GSG). Bessere Dämmung und Farbelemente sollen eine höhere Wohnqualität bieten, als dies in häufig feuchten Containern der ersten Generation der Fall war. Außerdem lässt die Stadt von der SWSG Containerdörfer mit kleineren Modulen aus Holz errichten. Eine solche Anlage geht demnächst an der Amstetter Straße in Hedelfingen in Betrieb. Auch an der Wasenstraße 34 in Wangen und im Heumadener Asyldorf möchte die Stadt Stuttgart derartige Containercamps einrichten.

Die SWSG-Module sollen eine Lebensdauer von 30 Jahren aufweisen und bei Bedarf wiederverwendbar sein – beispielsweise für kleine Mietwohnungen oder städtische Azubi-Wohnungen. Zehn Jahre lang müssen sie aber zunächst als Flüchtlingsunterkunft dienen. So wollen es die Förderbestimmungen des Landes. In welchem Zustand sich die Wohnmodule nach zehn Jahren befinden werden, ist spekulativ. Bei der Stadtverwaltung setzt man darauf, dass höhere Wohnqualität die Bewohner zu guter Pflege motiviert.

Die Stadtverwaltung braucht jede Unterstützung aus den Stadtbezirken

Unterbringung ist das Eine. Aber bei Betreuung, Arbeitsvermittlung, Integrationsunterstützung und Schulversorgung ist noch reichlich Luft nach oben. So ist die Personaldecke für eine angemessene Betreuung Geflüchteter in den Unterkünften extrem dünn. Auf 136 Geflüchtete kommt ein Hausleiter, auf 90 Menschen in der vorläufigen Unterbringung ein Sozialbetreuer. Hinzu kommt die immer noch nicht bewältigte Überlastung der Ausländerbehörde. Und ehrenamtliche Flüchtlingshelfer müssen oft erst noch neu gesucht werden – wie zum Beispiel in Wangen.

Am „Stuttgarter Weg” mit dezentraler Unterbringung und gemischter Belegung der Unterkünfte jeweils mit Familien und Alleinstehenden will die Stadt festhalten. Dass die Verwaltung dabei auf jede Unterstützung aus den Stadtbezirken angewiesen ist, wurde mehrfach betont. „Wir helfen Ihnen, wo‘s geht”, versprach Sozialbürgermeisterin Alexandra Sußmann den Bezirksvorstehern und -beiräten. Doch was ist, wenn ein Bezirksbeirat gegen einen städtischen Standortvorschlag stimmt? Finanzbürgermeister Thomas Fuhrmann versprach, die Voten der Bezirke dem Gemeinderat „transparent” zu machen. Doch er machte auch klar, dass die Stadträte völlig frei sind, wie sie damit dann „umgehen”. Notfalls auch gegen einen Bezirksbeirat.

Unterkünfte für 150 Menschen „eigentlich schon zu groß”

Massenunterkünfte will die Stadt vermeiden. Alexandra Sußmann nannte auch eine Zahl: Eine Unterkunft für 150 Menschen sei „eigentlich schon zu groß”, meinte die Bürgermeisterin. Deutlich ausgesprochen wurde auch, dass man eine Flüchtlingsunterbringung in Turnhallen vermeiden will. Ein Hoffnungsschimmer insbesondere für Sillenbuch – über dem Bezirk schwebt immer noch das Damoklesschwert einer Belegung der GSG-Sporthalle. Auch in Hedelfingen dürfte diese Aussage für Aufatmen sorgen – schließlich war die zum Abriss bestimmte Turn- und Versammlungshalle nach ihrem Kurzeinsatz als Notunterkunft in der Flüchtlingskrise 2015 hinter vorgehaltener Hand wieder genannt worden.

In der kommenden Woche geht es im WILIH-Land gleich zweimal konkret um Standorte. In Hedelfingen hat der Bezirksbeirat am Dienstag, 19. März, das kurz vor der Fertigstellung stehende Containercamp an der Amstetter Straße auf der Tagesordnung. Und am Mittwoch, 20. März, geht es in der Sitzung des Bezirksbeirats Sillenbuch um die städtischen Sanierungs- und Erweiterungspläne für das Asyldorf in Heumaden.


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Ein Gedanke zu „Flüchtlinge – Stadt will keine Turnhallen belegen

  • Der Stuttgarter Weg ist sicher der Richtige, jedoch ist es unverständlich, warum die Verwaltung nicht leerstehende Immobilien wie z.B. EnBW an der Hackstraße oder das ehemalige Theaterhaus in Wangen (und weitere leerstehenden Immobilien) nutzt. Die Millionen, die der Bau der Wohnmodule verursacht, könnten sicherlich für die Umbauten der Gebäude genutzt werden. Die Argumente der Verwaltung (Baurecht, Brandschutz etc.) sind aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar. Wenn man wirklich will, kann man das auch in einem kurzen Zeitraum umsetzen.

    Anstatt monatelang Mieten für die umzubauenden Immobilien (Millionen) bis zum Bezug zu bezahlen, muss man sich in dieser Situation auch mal über den Bürokratiewahnsinn hinwegsetzen und unkonventionelle Wege gehen.
    Gemäß der Devise: Wo ein Wille ist, findet man auch einen Weg.

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